: Gericht stellt Betriebsrat durch
Amtsgericht verurteilt den Personalchef eines Call-Centers zu einer Geldstrafe. Der hat laut Urteil die Gründung eines Betriebsrates in der Friedrichshainer Hotline GmbH behindert. Ehemalige Beschäftigte hoffen auf ein Signal für die Branche
von RICHARD ROTHER
Wer die Ausübung der Interessenvertretung von Beschäftigten einschränkt, kann sich strafbar machen. In einem ungewöhnlichen Strafverfahren verurteilte gestern das Amtsgericht Tiergarten den Personalchef eines Call-Centers zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 70 Euro. Der Tatvorwurf gegen den 37-jährigen Jürgen N. lautet: Behinderung der Gründung eines Betriebsrates und Nötigung.
Das Friedrichshainer Call-Center Hotline GmbH hat rund 180 Mitarbeiter, überwiegend Studenten. Für den Abend des 6. Februar 2001 hatten Beschäftigte zu einer Betriebsversammlung geladen, auf der ein Wahlvorstand für die Wahl eines Betriebsrates bestimmt werden sollte. Vor dem Unternehmen in der Grünberger Straße demonstrierten gleichzeitig Beschäftigte und Unterstützer für die Gründung des Betriebsrates, nachdem die Geschäftsführung zuvor mehrere Aktivisten entlassen hatte (die taz berichtete).
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Personalchef Jürgen N. mindestens einem der zuvor entlassenen Mitarbeiter den Zutritt zu der Betriebsversammlung verweigert hat. Da die Kündigung zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam und der Betroffene somit Betriebsangehöriger war, handelte N. mit der Aussprache eines Hausverbotes unrechtmäßig und behinderte so die Gründung der Beschäftigtenvertretung. N. soll den Aussagen mehrerer Zeugen zufolge auch weiteren Personen den Zutritt zur Versammlung nicht gestattet haben – das Gericht sah dies zumindest in einem Fall als gegeben an.
In puncto Nötigung wurde das Verfahren eingestellt. N. soll, so berichteten gestern mehrere ehemalige Beschäftigte, den Mitarbeitern auf einer Teamsitzung mit Entlassungen gedroht haben, sollten sie an der Gründung eines Betriebsrates festhalten. Zudem habe er angekündigt, die Stundenlöhne von 18 auf 12 Mark zu kürzen. Nach der Aussage eines ehemaligen Beschäftigten soll N. auch gebrüllt haben: „Aufs Klo dürft ihr dann nur vor und nach der Schicht.“
N. rechfertigte sich vor Gericht mit den Worten, er habe auf der Teamsitzung seine persönliche Meinung zu den Auswirkungen eines Betriebsrates auf den Betriebsfrieden kundgetan. Das Gericht ließ in seinem Urteil den Tatvorwurf der Nötigung fallen. Der Personalchef begrüßte dies ausdrücklich. „Ich bin froh, dass die Nötigung weg ist.“ Ob er das Urteil anfechten werde, könne er noch nicht sagen. Er sieht sich selbst als Opfer eines „Rachefeldzuges“ eines Mitarbeiters. Außerdem hätten „linksradikale Kräfte“ mit Gewerkschaftshilfe versucht, in seinem Unternehmen Unfrieden zu stiften.
Nachdem Pläne zu Entlassungen bekannt geworden waren, hatten Hotline-Beschäftigte Ende 2000 die Gründung des Betriebsrates ins Auge gefasst. Mittlerweile existiert in dem Unternehmen ein solche Mitarbeitervertretung, die derzeit mit Gewerkschaft und Geschäftsführung über einen Haustarifvertrag verhandelt.
In den rund 90 Call-Centern der Stadt, in denen die Agents zumeist unter wenig gesicherten und sehr flexiblen Bedingungen telefonieren, sind Betriebsräte immer noch die absolute Ausnahme. Tim Herudek, Mitinitiator des Hotline-Betriebsrates: „Hoffentlich ist das Urteil ein Zeichen für Call-Center-Betreiber, die Wünsche ihrer Beschäftigten ernst zu nehmen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen