Dank an Gott und Kahn

Mit Glück und einem erneut herausragenden Torwart schafft das deutsche Team durch einen 1:0-Sieg gegen die USA den Sprung ins Halbfinale, wo es laut Teamchef Völler „mit Sicherheit nicht Favorit“ ist

aus Ulsan FRANK KETTERER

Das Ende war gut – und deshalb geriet der deutschen Abordnung im Munsu Football Stadium von Ulsan auch alles andere noch in Ordnung. Soll heißen: Die Spieler waren hinübergelaufen zu ihren Anhängern, hatten sich dabei bei den Händen gepackt und nun schleuderten sie sich gegenseitig die Arme hoch, aus Freude und immer und immer wieder. Und auf der anderen Seite der Balustrade stand die deutsche Fan-Kolonie und tat es den Kickern gleich. Und für einen Moment sah es so aus, als ob die Anhängerschaft sehr zufrieden sei mit dem, was ihr die Mannschaft in 90 Minuten geboten hatte.

Der Zweck heiligt ja Mittel, und ganz bestimmt werden sie in den nächsten Tagen, wenn es darum geht, zu erklären, warum die deutsche Mannschaft im Halbfinale dieser Fußballweltmeisterschaft steht, diese Phrase des Öfteren bemühen müssen. Denn noch im Lichte der Arena von Ulsan betrachtet, gab es keinen wirklichen Grund dafür, dass Deutschland die USA mit 1:0 geschlagen hatte in diesem Viertefinale. Außer einem natürlich, dem zwischen den Pfosten.

„Wir haben uns einige gute Chancen erspielt, die deutschen nur zwei“, analysierte kurz nach Schlusspfiff Bruce Arena, der Trainer der Amerikaner, und seine Stimme klang dabei stolz und traurig zu gleich. Stolz, weil diese Feststellung tatsächlich der Wahrheit entsprach, womit ja im Vorfeld niemand grechnet hatte, nie und nimmer; und traurig, weil dieser wahre Satz doch nur das Vorspiel war, für das, was Arena noch beizufügen hatte – und was den Abend so bitter hatte enden lassen und für ihn und seine Soccerboys: „Der große Unterschied in diesem Spiel war Oliver Kahn. Er hat große Paraden gezeigt.“

Das hat der deutsche Torwart in der Tat. Wenn man alles zusammenfasst, was Kahn an diesem Abend gehalten hat, dann müssten die restlichen deutschen Spieler sich morgens und abends je zehnmal vor ihrem Schlussmann vor Dankbarkeit und Ehrfurcht verbeugen, so wie das hier in Asien Brauch ist. Zumindest Michael Ballack tat dies denn auch: „Er hat wieder einige Glanzparaden gezeigt und uns das 1:0 über die Zeit gerettet“, lobte der angeschlagene Spielmacher. Und kurz darauf hob auch Rudi Völler, der Teamchef, zum Generallob an für seinen Goalie. „Uns war von Anfang an klar, dass wir bei dieser WM nur mit einem überragenden Oliver Kahn so weit kommen können.“ Der Rest von des Teamchefs Spontananalyse war, zumindest für Völler-Verhältnisse, geharnischte Kritik am Tagwerk seiner Männer: „Spielerisch waren doch einige Dinge dabei, die mir nicht gefallen haben.“

Es waren in der Tat eine Menge. Und es war festzustellen, dass sich auch Völlers Umbauarbeiten am Team nicht eben als glücklich erwiesen. Der Teamchef hatte Didi Hamann im defensiven Mittelfeld gebracht für Jens Jeremies, womit allseits gerechnet worden war, Christan Ziege für Marco Bode auf der linken Seite, was viele befürchtet hatten, und Sebastian Kehl in der Zentralen der Dreierkette, was doch eine ziemliche Überraschung darstellte. Zwei dieser drei Personalentscheidungen erwiesen sich als ziemlicher Missgriff, weil Ziege unterirdisch spielte und Kehl auch nur den Nachweis erbingen konnte, dass er mit dem Mundwerk bisweilen besser spielt als auf dem Platz, auf dem er sich viel zu oft viel zu weit vor seiner Abwehr zeigte, was den Deckungsverband ein ums andere Mal löchrig erscheinen ließ. Zumal das Mittelfeld davor, in erster Linie Ballack und Hamann, kaum für Entlastung sorgen konnte und all zu viele Bälle schon im Spielaufbau verschlampte. Die Amerikaner hingegen präsentierten sich als gutorganisierte und kämpferische Einheit, die durchaus eine gepflegte Kugel spielen kann.

Dass das nicht ausreichte, um ins Halbfinale einzuziehen, lag, neben Kahn, an der 38.Minute und einer der wenigen gelungenen Aktionen der DFB-Elf, die durchaus bezeichnend aus einer Standardsituation resultierte: Freistoß von rechts durch Ziege (ausgerechnet!), Kopfball Ballack – Tor. Das einzige und entscheidende des Abends, dessen Verlauf somit arg auf den Kopf gestellt wurde. Was vor dem Tor war? Zum Vergessen. Danach? Zum Abgewöhnen. Oder anders gesagt: Die USA war auch deshalb besser, weil sich Deutschland in fußballerischer Unzulänglichkeit übte, die die Mannschaft, weil nicht zum ersten Mal aufgetreten, langsam aber sicher in die Gefahr bringt, zum großen Irrtum dieser WM zu werden, frei nach dem Motto: Stell dir vor, Deutschland steht im Halbfinale – und keiner weiß warum. Außer dass Deutschland Kahn im Tor hat natürlich, dem denn auch das Schlusswort gehörte: „Wir können mit dem Spiel nicht zufrieden sein, aber in zwei Tagen fragt danach keiner mehr. Da zählt nur noch das Ergebnis.“ Und das lautet: Deutschland steht im Halbfinale.

Deutschland: Kahn - Linke, Kehl, Metzelder - Frings , Schneider (60. Jeremies), Hamann, Ballack, Ziege - Neuville (79. Bode), Klose (88. Bierhoff) USA: Friedel - Sanneh, Pope, Berhalter - Hejduk (65. Cobi Jones), Mastroeni (80. Stewart), Reyna, O‘Brien, Lewis - Donovan, McBride (58. Mathis) Schiedsrichter: Dallas (Schottland) Zuschauer: 37.337Tor: 1:0 Ballack (39.)