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Mehr Zuckerbrot statt Peitsche

Der Vorstoß von Großbritannien und Spanien ist gescheitert: Die EU verzichtet vorerst auf drastische Maßnahmen bei illegaler Einwanderung

aus Sevilla SABINE HERRE

Die europäischen Regierungschefs haben sich gestern in die Teams „Zuckerbrot“ und „Peitsche“ aufgeteilt. Mit der Fußball-WM hatte diese Paarung nichts, mit der Bekämpfung der illegalen Einwanderung alles zu tun. An der Spitze der Zuckerbrotmannschaft stand Belgiens liberaler Premier Guy Verhofstadt. Der hatte im letzten Halbjahr 2001 die EU-Staaten mit den „Schlussfolgerungen“ des Gipfels von Laeken auf eine Asylpolitik festgelegt, die wegen der Berücksichtigung der Interessen der Flüchtlinge ein Lob von amnesty international bekommen hatte. Und auch in Sevilla, beharrte Verhofstadt darauf, dass eine Ursache von Flucht und Migration der „Protektionismus des Westens“ sei. Und dieser – dies das Zuckerbrot – müsse abgebaut werden.

Zum Team „Peitsche“ dagegen bekannte sich Anders Fogh-Rassmussen. Der Ministerpräsident Dänemarks hat in Koalition mit den dänischen Rechtspopulisten gerade erst das dänische Ausländerrecht verschärft. Er unterstützt den Vorschlag der spanischen Präsidentschaft: Regierungen, die Migration aus ihren Ländern nicht in der von der EU gewünschten Weise unterbinden, haben mit Sanktionen bis hin zur Kürzung von Entwicklungshilfe zu rechnen. Diese Position teilten – nicht überraschend – Italien und Österreich.

Besonders scharf abgelehnt wurden Sanktionen dagegen von Frankreich und Schweden. Chiracs Position hängt, so wird am Rande des Gipfels spekuliert, wohl damit zusammen, dass besonders viele Flüchtlinge aus ehemaligen französischen Kolonien kämen und er hier keine Verschlechterung der Beziehungen will. Schwedens sozialdemokratischer Premier Persson dagegen sammle mit asylfreundlicher Politik bereits Stimmen für die Wahl im September.

Die deutsche Regierung hatte sich vor dem Gipfel uneins gezeigt. Während Kanzler Schröder und Innenminister Schily sich unumwunden zur Peitsche bekannten, äußerte Außenminister Fischer sein Bedürfnis „zwischen der humanitären Tradition der EU und der wirksamen Bekämpfung der illegalen Einwanderung zu balancieren“.

Mit dem gestern gefundenen Kompromiss, der vor allem die Notwendigkeit von Kooperationsabkommen mit den Flüchtlingsländern betont, und erst im Falle ihrer Nichteinhaltung „Konsequenzen“ androht, dürfte Fischer zufrieden sein. Eine Niederlage ist dies für Tony Blair und José María Aznar. Der Brite hatte nach den Wahlerfolgen der Rechten in Frankreich und den Niederlanden gemeinsam mit Spanien den „Kampf“ gegen die illegale Immigration erst auf die Tagesordnung von Sevilla gesetzt. Jetzt konten sich beide Länder selbst in der Frage einer gemeinsamen Grenzpolizei zum besseren Schutz der EU-Außengrenzen, die auch von Kommission und EU-Konvent unterstützt wird, nicht durchsetzen. Zu stark waren die Bedenken anderer, hier nationale Kompetenzen einzubüßen.

Tatsächlich dürfte es einigen Regierungen in den letzten Tagen klar geworden sein, dass Aznar und Blair zu weit und zu schnell vorgeprescht sind. Dies machten zum einen Organisationen wie amnesty international und das UN-Flüchtlingswerk UNHCR deutlich, die darauf hinwiesen, dass die Zahl der Asylanträge von 675.000 im Jahr 1992 auf 384.000 im letzten Jahr zurückgegangen sei. Auch die EU-Kommission, zuständig für die Erarbeitung von Richtlinien einer gemeinsamen EU-Asylpolitik, erinnerte daran, dass die EU-Innenminister erst am 28. Februar einen Aktionsplan zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung angenommen hatten. Zudem hatte die Kommission Anfang April, gut einen Monat vor dem Blair-Aznar-Vorstoß, ein Grünbuch „Über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen“ vorgelegt.

In beiden Dokumenten liegt der Schwerpunkt auf Rückkehrhilfen sowie so genannten Rückübernahmeabkommen, die mit Staaten ausgehandelt werden sollen, aus denen besonders viele Flüchtlinge nach EU-Europa kommen.

Belgiens Verhofstadt schließlich verband das Thema illegale Immigration mit dem zweiten wichtigen Thema dieses Gipfels: Mit der EU-Osterweiterung und Anbindung von Ländern wie Weißrussland und Ukraine würde einer der Hauptgründe illegaler Immigration am wirksamsten bekämpft werden.

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