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„Mit straffer Hand“

Folter an Partisanen und Zivilisten: Schriftliche Aussagen von Zeugen belasten Ex-SS-Chef Engel. Nebenklägerin: In Italien großes Interesse an dem Prozess

Die Gefangenen im Gebäude des Sicherheitsdienst (SD)-Außenkommandos Genua wurden mit Stöcken geschlagen und mit Stromstößen misshandelt. Von 1943 bis 1945 folterten die Untergebenen des damaligen SS-Chefs des SD, Friedrich Engel, Partisanen und Zivilisten bei Verhören: Das belegen Aussagen, die ein italienischer Zeuge 1945 bei den Alliierten machte. Sie wurden am Freitag, dem zehnten Tag der Verhandlung gegen Engel vor dem Hamburger Landgericht, verlesen und widerlegen die Behauptung des heute 93-Jährigen, er habe damals keine „verschärften Befragungen“ befohlen.

„Engel führte das Kommando mit straffer Hand“, gab Guiseppe Nicoletti 1945 bei der Vernehmung von den alliierten Streitkräften an. Unter seiner Leitung, erklärte der ehemalige Spitzel des SD, „durchkämmten“ sie die Region Ligurien, folterten Partisanen und erschossen Zivilisten. Engel sei sehr überzeugt gewesen und habe noch kurz vor dem Ende an ein „Wiedererwachen“ Deutschlands geglaubt.

Nicolettis Aussage konnte das Landgericht nur verlesen, da er verstorben ist. Auch die italienischen Opfern werden nicht selbst befragt - man möchte ihnen die Reise ersparen. Das Gericht verliest ihre Aussagen vor dem Turiner Militärgericht 1997. Die Berichte lassen das Ausmaß des Terrors erahnen: „Man drohte meine Familie zu verhaften“, „Ich wurde geschlagen“ und „Man versetzte mir Stromschläge“, sagten die Zeugen.

Angehörige von zwei Opfern treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Sie werden von der Berliner Rechtsanwältin Olivia Belotti vertreten. „Es gibt einen großen Wunsch der Angehörigen nach Gerechtigkeit“, sagte sie. Sie kritisiert, dass Engel versuche, Tatsachen zu beschönigen und dass Zeugen, die selbst Täter waren, Abläufe verschweigen würden. „Den Opfern ist es wichtig, Engel mit den Verbrechen zu konfrontieren und die Verantwortung gerichtlich feststellen zu lassen – auch, wenn die Taten weit zurück liegen.“

Eigentlich wollte die Provinz Genua, die den Hinterbliebenen Renten zahlt, als Nebenklägerin auftreten. „In Genua“, so Belotti, „findet das Verfahren viel Beachtung“. Schließlich seien viele Familien betroffen. Aber behördliche Nebenklagen sind nach der deutschen Strafprozessordnung nicht zulässig. Die Rechtsanwältin kritisiert den mangelnden Austausch aller Ermittlungsbehörden: Vor zehn Jahren hätten viele Täter und Opfer noch gelebt und das Verfahren wäre leichter gewesen. Andreas Speit

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