: Erinnern für die Zukunft
60 Jahre Massaker von Lidice: Bremer Initiative will nicht in der Vergangenheit verharren / Der Bremer Ernst Uhl war kürzlich bei einer Gedenkveranstaltung vor Ort
Vor 60 Jahren machten Gestapo und SS in einer Racheaktion das tschechische Dorf Lidice dem Erdboden gleich. 173 Männer wurden erschossen, Frauen und Kinder in Konzentrationslager verschleppt, die Häuser bis auf die Grundmauern zerstört. Ernst Uhl (69), Ex-Pfarrer aus Blumenthal und Mitbegründer der Bremer Lidice-Initiative, nahm jetzt in dem wiederaufgebauten Dorf an der offiziellen Gedenkveranstaltung teil.
taz: Die direkten Angehörigen der Opfer des Massakers von 1942 sterben langsam aus. Wird Lidice in zehn oder 20 Jahren noch ein Begriff sein?
Ernst Uhl: Ja. Natürlich sind die unmittelbar Betroffenen schon sehr alt oder leben nicht mehr. Aber das geht durch die Familien. Da gibt es selbst heute kaum eine, die nicht ein Opfer des Massakers von 1942 zu beklagen hätte. Außerdem wird es von Tschechien inzwischen als eine nationale Aufgabe angesehen, das Gedenken lebendig zu halten.
Bis zur sanften Revolution war Lidice fast eine Art kommunistischer Wallfahrtsort. Kann man davon heute immer noch sprechen?
Nein. Die Art des Gedenkens hat sich sehr stark verändert. Schon einmal nach außen hin, dass darum gebeten wird, dass nicht politische Parteien das Gedenken mit ihren Deutungen und Programmen überdecken. Jetzt ist es eine Feier, die wirklich, wie soll ich sagen, von innen kommt, und die nicht mehr den demonstrativen Charakter von früher hat – wobei ich gar nicht alles negativ sehe, was in der Vergangenheit gewesen ist. An die Taten des Faschismus zu erinnern sollte lieber etwas deutlicher geschehen, als dass es gar nicht passiert.
Gibt es auch heute noch Gruppen in Tschechien, die versuchen, das Massaker von Lidice und das Gedenken daran für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren?
Dieses Jahr sind zum Beispiel die tschechischen Rechten mit Fahnen in Lidice aufgetreten. Die sind dann vom Ministerpräsidenten des Geländes verwiesen worden. Die Kommunisten haben ihre eigene Gedenkfeier veranstaltet. Die konnten offenbar nicht ertragen, dass keine Parteiredner erwünscht waren.
Sie fahren seit über 20 Jahren regelmäßig nach Lidice. Haben die Dorfbewohner noch ein Interesse daran, dass das Dorf ein Mahnmal bleibt?
Die Mehrheit sicher ja. Es gibt einige wenige, die sagen: Diese Zeit ist vorbei, wir müssen wieder ein normales Leben führen. Aber ich denke, das tun ohnehin alle – ob sie nun damals betroffen waren oder nicht. Die Enkelgeneration ist sehr frei gegenüber der Vergangenheit, fühlt sich ihr dennoch verpflichtet.
In welcher Form sollte Ihrer Meinung nach denn die Auseinandersetzung mit dem Massaker in Zukunft geführt werden?
Die Erinnerung muss natürlich bleiben. Trotzdem muss auch an die Zukunft gedacht werden. In den offiziellen Reden der Politiker kam zum Beispiel nicht ein einziges Wort von Vertrauen und Versöhnung vor. Dass zwischen Tschechen und Deutschen inzwischen eine ganze Menge gewachsen ist, wurde gar nicht erwähnt. Diese Redner haben tatsächlich in der Vergangenheit verharrt. Das muss unbedingt überwunden werden.
Was heißt das für die Bremer Lidice-Initiative?
Wir haben unsere Arbeit immer als Friedensarbeit verstanden. Da spielt das Erinnern und überhaupt das Ansprechen von deutscher Vergangenheit natürlich eine große Rolle. Aber dabei allein wird es nicht bleiben. Seit einigen Jahren bereits gibt es etwa jeweils im Anschluss an die Gedenkfeier ein kurzes Seminar über ein Thema, das über die Vergangenheit hinausweist. In diesem Jahr ging es um den bevorstehenden EU-Beitritt Tschechiens. Und nach wie vor fragen Gruppen bei uns an, die nach Lidice fahren wollen. Jetzt hoffe ich vor allem, dass auch der Jugendaustausch wieder in Gang kommt. Das ist eine gute Tradition gewesen.
Fragen: Armin Simon
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