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Wenn der Knipser kommt

Miroslav Klose startete mit fünf Kopfballtoren in die WM. Seit 188 Minuten hat er nicht getroffen. Unwichtig. Er hat sich ein neues Ziel gesetzt: Weltmeister werden. Und dem Druck widerstehen

aus Seoul FRANK KETTERER

Noch besteht kein Anlass zur Sorge, es sind ja auch erst handgestoppte 188 Minuten. Das kann jedem mal passieren, selbst einem, der gerade aufgestiegen ist zum neuen Wunderstürmer der Nation oder, wie das die Bild kürzlich geschrieben hat, zu „unserem neuen Knipser“. Knipser, das ist im Fußball ja einer, der vorne nicht lange fackelt, sondern die Dinger einfach rein- und den Gegner damit ausknipst, am besten per Kopf, weil’s so besser aussieht, spektakulär zumindest. Dafür braucht ein Knipser übrigens nicht viele Chancen, sondern macht im günstigsten Fall aus jeder Möglichkeit ein Tor.

Miroslav Klose hat bei dieser WM zwar ein paar Chancen mehr gehabt, dafür aber auch eine Menge Tore mehr gemacht, fünf nämlich, was bei den fünf Spielen der deutschen Mannschaft eins pro Partie ergibt, rein rechnerisch. Und so gesehen wäre Miroslav Klose heute, wenn Deutschland im Halbfinale gegen Gastgeber Südkorea spielt, wieder dran. Oder, um es anders auszudrücken: Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Miroslav Klose Deutschland ins Finale schießt, sorry: knipst.

Wenn da nicht eben die 188 Minuten wären, die er nun schon ohne Torerfolg über den Rasen rennt. Hat ihn Rudi Völler, der Teamchef der deutschen Mannschaft, nicht im erbärmlich schlechten Viertelfinale gegen die USA sogar vom Platz genommen und Oliver Bierhoff eingewechselt? Um das klarzustellen: Es ist Unfug, solche Dinge hier vorzurechnen und herauszustreichen. Und ist in etwa doch nur das, woran Miroslav Klose in Zukunft gemessen wird: „Was, Klose hat schon wieder kein Tor geschossen?“, wird es heißen, wenn er in einem Spiel seines 1. FC Kaiserslautern nicht trifft, was vorkommen wird. Oder: „Was, Klose war so schwach, dass er ausgewechselt werden musste?“, wenn er vom Trainer mal vorzeitig vom Feld befohlen wird, und sei es auch nur in der 87. Minute wie gegen die USA. „Nach der WM wird sich vieles verändern für ihn“, hat Teamchef Völler, der sich als persönlicher Mentor des 24-Jährigen sieht, unlängst gesagt, „er wird ganz anders beobachtet werden“. Die, die ihn jetzt in den Himmel heben und feiern, werden ihn dann zuerst in Grund und Boden stampfen, und aus Lucky Klose, dem Mann, der höher springt als sein Schatten, könnte dann ganz schnell der Schatten seiner selbst werden.

Man kann nur hoffen, dass Miroslav Klose, vor 24 Jahren geboren im schlesischen Oppeln, später aufgewachsen im Moselörtchen Kusel und seit drei Wochen Führender der Torjägerliste bei der WM in Asien, dann wirklich die Ruhe behält und seinen kühlen Kopf, so wie das hier bei der WM täglich den Anschein erweckt. „Erfolg kann Gift sein für die Entwicklung eines Spielers“, sagt Klose in seinem weichen, leisen Pfalz-Slang.

Das klingt verdammt vernünftig für einen 24-jährigen Profifußballer, dem seit rund drei Wochen diverse Großklubs die Bude einrennen, weil sie sich seine Dienste sichern wollen und seine Tore. Dabei ist dieser Klose, Kurzname Miro, nach eigener Einschätzung doch „noch lange kein fertiger Stürmer“, sondern nach Asien gereist, „um Erfahrung zu sammeln“. Wie sollte das auch anders sein, wo er doch vor vier Jahren noch bei der SG Blaubach-Diedelkopf gekickt hat – in der Fußball-Bezirksliga Westpfalz.

„Er ist ein Typ, der vieles, fast alles verkörpert, was einen Stürmer ausmacht“, lobt Völler die deutsche Entdeckung des Turniers. „Er ist schnell, dribbelt links wie rechts, ist kopfballstark und hat einen gewissen Torriecher“, sagt der Teamchef. Aber auch, dass Miroslav Klose, der seine Brötchen für ein bisher in der Branche eher bescheidenes Gehalt beim 1. FC Kaiserslautern verdient, noch „sehr jung“ sei und „die Zukunft noch vor sich hat“. Vor allem diesen letzten Teil des Satzes betont Völler etwas schärfer als gewöhnlich, damit es auch ja keiner vergisst. Denn bei aller Euphorie, die nun ausgebrochen ist um den Jungstar des deutschen Fußballs, steht er doch erst und immer noch am Anfang seiner Karriere, die vielleicht eine große werden kann – es aber nicht werden muss. „Sicherlich wird, wenn ich nach Hause komme, alles anders sein, wie der Herr Völler ja schon gesagt hat“, hatte Klose geäußert, noch während der Vorrunde in Japan. Einen Vorgeschmack darauf, wie sich die Dinge schon jetzt verändert haben, dürfte der 24-Jährige Tag für Tag bekommen, wenn er mit seinen Eltern telefoniert und seiner Freundin Juliette und die ihm erzählen, wie sie von den Fotografen des Boulevards belagert werden. Dass Klose derzeit ein Eigenheim baut in Blaubach und dort möglichst bald nach der WM einziehen möchte – längst Allgemeinwissen im Lande. Dass Vater Josef einst selbst mal Fußballprofi war bei AJ Auxerre und derzeit um seinen Job im Hörkassettenwerk in Rammelsbach bangt? Würde bei Günther Jauchs Millionenquiz noch nicht einmal mehr als Einstiegsfrage durchgehen, weil’s eh jeder weiß. Und die Verteidiger der Bundesliga werden sich bis zu Kloses Rückkehr auch genauestens informiert haben über seine Kniffs und Tricks, Stärken und Schwächen. Und wenn die neue Bundesligasaison dann losgeht, werden sie alle zusammen eine hübsche Treibjagd veranstalten auf den Torjäger aus der Pfalz, Woche für Woche. Klose kann dann schon froh sein, wenn er da heil rauskommt.

„Ich bin keiner, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht“, sagt er hier in Asien nach fast jedem Spiel. Mehr kann er ohnehin nicht tun: als eben dieser Strategie treu und auf dem Teppich zu beiben, so wie er das bisher hingekriegt hat. „Wenn ich ein Ziel erreicht habe, setze ich mir sofort ein neues“, sagt er. „Vor der WM wollte ich Stammspieler werden. Jetzt will ich alles dafür tun, dass Deutschland ins Finale kommt.“ Und dann, nach dem Finale? Dann wird Miroslav Klose, der Knipser, zeigen müssen, ob er halten kann, was sich nach dieser WM alle Welt von ihm verspricht.

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