Stille Oase der Menschenwürde

Homosexuell wie du und ich – auch im Dritten Reich: Das Schwule Museum zeigt eine Ausstellung über den Literarischen Salon von Richard Schultz

Richard Schultz hat einen unspektakulären Namen. Auch erinnert man sich an Schultz nicht als Künstler oder Popstar. Schultz wurde 1889 geboren, und er verstarb 1977. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Schultz in Berlin. Er war Hotelangestellter mit den allerbesten Manieren, und er machte im Hotel Bristol eine kleine Karriere. Er war längere Zeit im Ausland und beherrschte einige Sprachen. Richard Schultz war schwul.

Das alles wäre nichts Besonderes, wäre nicht Richard Schultz zugleich auch ein Aktivist der Schwulenbewegung gewesen. Zwar exponierte er sich nie in der Weise, wie es Adolf Brand oder Magnus Hirschfeld getan haben: Er schrieb selten einen Artikel, ging nicht in die Politik oder engagierte sich in großem Maße als Künstler. Nein, Richard Schultz betrieb einen Salon, der Gleichgesinnten offen stand. Und das war eine Leistung, denn er betrieb seinen Salon nicht während der für Schwule in Berlin recht freizügigen Zwanzigerjahre in Berlin, sondern er initiierte einen regelmäßigen Jour fixe erst nach 1933, als Übergriffe auf seine Freunde stattfanden und beispielsweise Treffen bei dem Begründer der „Gemeinschaft der Eigenen“, Adolf Brand, für einige ihrer Mitglieder hätten lebensbedrohlich werden können.

Bei Schultz traf sich nun ein Teil der früheren Schwulenbewegung, zugleich hielt er den Kontakt zu Emigranten und Untergetauchten und vermittelte auch Kontakte untereinander. So stellte seine Wohnung für viele in dieser Zeit tatsächlich, wie es in einem Brief heißt, eine „stille Oase dar, in der es sich als Schwuler menschenwürdig leben ließ“.

Richard Schultz war also ein guter Mensch. Ein Mensch, der zudem in den Dreißigerjahren viele ihm unterstellte jüdische Hotelangestellte an ausländische Hotels vermittelte und in den letzten Kriegstagen ein jüdisches Pärchen beherbergte. Auch kümmerte er sich trotz der damit verbundenen Gefahr weiterhin um den verfemten und völlig mittellosen Adolf Brand.

Nach dem Krieg engagierte er sich noch einmal in einer Gruppe, die die Abschaffung des homophoben Paragraphen 175 herbeiführen wollte. Doch dieses Vorhaben scheiterte an der sich in den Fünfzigerjahren ganz an der Gesetzesauffassung des Dritten Reiches ausrichtenden Justiz. Kurz vor seinem Tod schließlich musste Schultz, um seine Pflege finanzieren zu können, auch noch einen beträchtlichen Teil seiner Kunstschätze und seiner Bibliothek veräußern. Dennoch hatte Schultz das geführt, was man gern ein erfülltes Leben nennt.

Das Schwule Museum widmet dem Leben und der Arbeit Schultz’ nun eine eigene Ausstellung und hat eine ansehnliche Menge von Nachlassstücken aus dem Besitz von Schultz zusammenbringen können. Man sieht Skulpturen, Schränke und Geschirr aus seiner Wohnung, einige seiner Freunde und Geliebten werden in Text und Bild vorgestellt, und seine vielseitigen Aktivitäten werden mit Dokumenten belegt.

Es ist eine schöne Ausstellung geworden, und in den Räumen des Museums kann man sogar ein bisschen von der Salon-Atmosphäre spüren. Außerdem ist es sehr bemerkenswert, dass man diese große und aufwändige Ausstellung jemandem widmet, der eben keinen „Namen“ hat, gerade als ein einfacher Mann im Hintergrund aber wirken konnte und einige für die Schwulenbewegung unverzichtbare Dienste geleistet hat.

Doch leider hat man es unterlassen, den für die Zeit nicht unüblichen Exotismus und das damalige „Rassedenken“ in der Ausstellung wenigstens ein bisschen kritisch zu kommentieren. Zu sehr verlässt man sich darauf, das Schultz und die Seinen schon per se zu den Guten gehört haben. Und schließlich zeigt auch die offizielle Postkarte wie das Cover des ansonsten wunderbaren Buches zur Ausstellung den jungen Richard Schultz in Herrenpose vor einer Pyramide, neben ihm unsicher lächelnde Ägypter. Diese Bildauswahl ist wohl mehr dem Umstand geschuldet, dass die Austellungsmacher von Schultz’ so prächtigem und wohl organisiertem bürgerlichem Dasein beeindruckt waren, hat jedoch leider nur wenig mit seinen Verdiensten zu tun. Hier wäre ein Bild des prächtigen Salonzimmers vielleicht viel dienlicher gewesen.

JÖRG SUNDERMEIER

Karl-Heinz Steinle: „Der Literarische Salon bei Richard Schultz“. Herausgegeben vom Schwulen Museum Berlin. Querverlag, Berlin 2002, 120 Seiten, 12,50 €. Die Ausstellung im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, läuft bis 29. Juli, täglich, außer Di., 14–18 Uhr