„380 Volt unter der Oberfläche“

Ist das Kino politisch, wenn es politische Sujets behandelt? Ein Gespräch mit den Regisseuren Romuald Karmakar, Christian Petzold und Andres Veiel über die Sehnsucht nach klaren Fronten, über RAF-Schick, Geschichtsvermeidung und -verdichtung

„Schlimm ist, dass so getan wird, als gäbe es eine Filmwirtschaft“

Interview DOROTHEA HAUSER
und ANDREAS SCHROTH

taz: Gibt es eine Rückkehr des Politischen im deutschen Kino?

Andres Veiel: Ich würde die Frage anders formulieren. Entscheidend ist die Frage der Konjunktur, denn ich würde für mich sagen, dass ich schon immer politische Filme gemacht habe. Nicht im agitatorischen Sinne, sondern mit bestimmten Fragestellungen, oft an Widersprüchen orientiert. Die Frage ist nur: Warum hat etwas plötzlich Konjunktur? Schon bei meinem Film „Balagan“ habe ich gemerkt, wie absurd diese Konjunkturen sind: Da geht es um Israel und den Umgang der zweiten Generation, einschließlich der Palästinenser, mit dem Holocaust. Ich habe das also recherchiert, eingereicht und nirgendwo Förderung bekommen, mit der Begründung: Das interessiert niemanden mehr. Der berühmte Schlussstrich. Dann sind die Anschläge in Mölln und Solingen passiert. Ich habe das gleiche Thema wieder eingereicht, und plötzlich ist es durchgerutscht, obwohl das eine mit dem anderen unmittelbar nichts zu tun hat.

Romuald Karmakar: In dem Moment, in dem die öffentlich-rechtlichen Anstalten aufgrund eines Jahrestages ein Thema besetzen, meinen die Filmproduzenten und Redakteure, das Thema sei durch. Das Fatale daran ist: Es wird suggeriert, dass wir uns mit Zeitgeschichte beschäftigen. Das aber ist ein Trugschluss.

Christian Petzold: Ja, und das ist im Grunde schon das Politische: In dem Moment, in dem die öffentlich-rechtlichen Sender glauben, Filme machen zu müssen, die ein Thema in irgendeiner Form beenden, in dem Moment hast du das Ende des Politischen im Film. So wie meine Eltern sich irgendwelche Chronikbände zu Weihnachten schenken, hat man dann Übersichten, mit denen man vielleicht in einer Quizshow ein paar Fragen beantworten kann. Breloers „Todesspiel“ ist genau so ein Film.

Aber Sie sind doch lebendige Gegenbeispiele. Sie werden hoch gelobt und mit Preisen bedacht.

Petzold: Das ist nicht die Gegenthese, das ist die Kehrseite der Medaille.

Veiel: Man muss die verschiedenen Zeiträume beachten. „Black Box BRD“ hat 1997 angefangen und ist erst vier Jahre später herausgekommen, wo, was die Siebzigerjahre angeht, ein ganz anderer Nährboden von Interesse oder Nostalgie, Romantisierung oder Ikonenbildung da war. Ich meine dieses Verlangen nach Vorbildern oder Helden, nach Rückkehr in eine Welt mit klaren Fronten. Zumindest gibt es eine Notwendigkeit bei Leuten zwischen 20 und 30, sich damit zu beschäftigen, und die kommen letztlich ins Kino. Das aber ist die Widerlegung der These, dass es nur zu Jahrestagen geht. Das heißt, so ein Erfolg gibt einem Recht, legitimiert rückwirkend und macht letztlich die Redakteure, die das unterstützt haben, mit zu Helden des Projekts.

Auffällig ist, dass es eine Konzentration auf ganz bestimmte politische Stoffe gibt, nämlich die RAF und den Terrorismus, während etwa die Startbahn West oder Gorleben kein Thema sind. Ist dieses Interesse politisch? Oder historisch im Sinne einer Abarbeitung von Mythen?

Veiel: Ich meine, dass das je nach Zuschauer verschieden ist. Bei „Black Box BRD“ habe ich sehr unterschiedliche Gründe für diesen Blick zurück festgestellt. Da gibt es den radikaleren Blick bei denjenigen, die in Genua gewesen sind oder in Göteborg und unmittelbar Erfahrung gemacht haben mit Polizeiknüppeln, mit einer Form von Repressionsapparat. Das heißt, dass es sehr wohl Leute gibt, die sich in dem gegenwärtigen politischen Spektrum nicht wiederfinden und deshalb Antworten suchen in den Siebzigerjahren, in der Auseinandersetzung mit der RAF. Bei denen ergibt sich eine Mischung aus Verklärung und dem Wunsch, wirklich zu wissen und Antworten zu finden. Diese Leute sind oft enttäuscht, dass dieser Film für sie zu uneindeutig ist und sich nicht für praktische Schlussfolgerungen instrumentalisieren lässt. Bei anderen Zuschauern gibt es eine Sehnsucht: Mann, muss das toll gewesen sein, damals gelebt zu haben. Da denke ich dann: Vorsicht! Wenn ich nachfrage, gilt diese Sehnsucht vor allem einem Weltbild, das sehr viel klarer war. Das Denken der RAF hat sich ja dadurch ausgezeichnet, dass es auf der einen Seite eine bestimmte Form von Imperialismus gab und eine Frontlinie, die sich von Kuba über Mosambik bis Moskau und Ostberlin gezogen hat. Die RAF hat sich eingeordnet, eben als Fragment oder als Fraktion.

Der dritte Punkt hängt durchaus mit dem, was Karmakar macht, zusammen: Da sind die Studienräte, die immer wieder von Auschwitz reden, und für diesen Teil der Geschichte verspürt mancher eine Art Übersättigung, während es zugleich in der näheren Geschichte Starkstromkabel gibt. 380 Volt liegen relativ dicht unter der Oberfläche. Der Blick fällt nun auf etwas, das einen gewissen Magnetismus und Spannung oder, böse gesprochen, einen gewissen Kick vermittelt, und da will man sich bedienen. Das ist jetzt schon nahe an diesem Schlagwort vom „RAF-Supermarkt“.

Petzold: Wenn man die Frage nach dem Politischen im Film wörtlich nimmt: Ist das Politische nur das, was dargestellt wird, oder ist die Darstellung politisch? Diese Unterscheidung ist wichtig. Geht es darum, mit Film oder Fernsehen irgendwelche Dinge, über die immer geschwiegen worden ist, auf der Inhaltsebene zur Diskussion zu bringen, wie das mit der Holocaust-Serie gewesen ist?

Karmakar: Ich habe mich sehr genau mit der Darstellung des Nationalsozialismus beschäftigt. Und da ist jetzt Folgendes: Man hat einerseits das Gefühl, dass man schon unzählige Filme über den Nationalsozialismus gesehen hat, und es gibt ja tatsächlich nahezu jeden Tag im Fernsehen mindestens ein Feature oder eine Reportage oder irgendein neues Ding von Spiegel-TV. Man hat also das Gefühl, dass der Nationalsozialismus permanent gegenwärtig ist. Andererseits gibt es dabei nur eine ganz bestimmte Sicht auf den Nationalsozialismus. Die meisten Spielfilme, jedenfalls aus Westdeutschland, sind Filme, die aus der Opfer-Perspektive erzählen, wie schlimm es im Nationalsozialismus war. Dadurch wird suggeriert, man würde irgendwie den Nationalsozialismus erzählen, während man sich aber überhaupt nicht dafür interessieren müsse, wer die Nationalsozialisten waren, die diese schlimme Situation erzeugt haben. Im westdeutschen Film gibt es nur zwei, drei Spielfilme, die sich überhaupt mit der Täterperspektive beschäftigen.

Jetzt ist es interessant, dieses Phänomen mit Blick auf die RAF zu betrachten. Denn da sind ja die Täter die eigentlichen Hauptfiguren. Wir haben genau das umgekehrte Phänomen, und vielleicht hat das Interesse an der RAF-Thematik auch damit zu tun, dass natürlich die Täter meist interessanter sind für die Wahrnehmung von Geschichte als die Opfer. Was du in „Black Box BRD“ machst, die Gegenüberstellung von Opfer und Täter, ist ganz untypisch für Dokumentarfilme.

Veiel: Das ist ein wichtiger Punkt, und das hat ja eine Tradition, die auch mit dem Begriff der Gegenöffentlichkeit zu tun hat, unter dem ich noch meine ersten filmischen Gehversuche mit Video gemacht habe. Wenn es eine Demonstration gab, dann war ganz klar, dass die nur aus der Perspektive der Demonstranten gefilmt wird. Schon der bloße Blick auf die andere Seite war im Prinzip ein Verrat, der beim Festival in Duisburg gebrandmarkt wurde und zur Nichteinladung im folgenden Jahr geführt hat. Da habe ich gemerkt, dass bei mir selbst eine Häutung stattfinden muss. Die hat schon bei „Balagan“ eingesetzt, wo ich dieses Grenzgängertum und den Perspektivenwechsel erstmals ganz bewusst ausgebaut habe.

Karmakar: Die Sprache von Spielfilm wie Dokumentarfilm, die man nicht trennen kann, funktioniert immer über Identifikationen. Die Frage ist also, ob ich mit jemandem, der böse ist, eine Hauptfigur in einem Spielfilm gestalten kann. Denn natürlich ist ein Zuschauer viel leichter einzufangen, wenn du von jemandem erzählst, der unter irgendetwas leidet oder malträtiert wird. Deswegen scheint auch alles, was furchtbar ist und was man am Rand der Gesellschaft ansiedelt, vom Penner bis zum Fixer, am besten im Dokumentarfilm aufgehoben, weil man dann immer sagen kann: Wunderbar, dass es Leute gibt, die sich dieser Figuren annehmen!

Petzold: Ist das nicht auch ein Ergebnis von 68?

Karmakar: Das ist eine Katastrophe!

Ist der Blick auf die andere Seite, von außen oder meinethalben neutral, eine Form der Professionalisierung?

Veiel: Neutral ist das falsche Wort. Es geht nicht um Neutralität, es geht eher um schneidende Ambivalenzen und Widersprüche. Keinesfalls geht es um Ausgewogenheit in dem Sinne, dass der eine 49 Sekunden in einem Take hat, jetzt muss also der andere hier 17 und da noch mal 32 Sekunden haben.

Karmakar: Es geht auch nicht um Professionalisierung. Der Widerstand regte sich ja gerade deswegen so stark, weil ich jemanden erzählen lasse, wie er Leute umgebracht hat, und dann aber nicht das klassische Gegenbild von jemandem, der zugerichtet wurde, mit hereingenommen habe, um mich dadurch zweifelsfrei kenntlich zu machen als jemand, der das als Filmemacher verurteilt. Das Auslassen war das Skandalon und widersprach dem herkömmlichen Erzählmuster des deutschen Dokumentarfilms, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt. Das ist aber nicht weltweit gültig.

Petzold: Im Fernsehen übernehmen der Kommentar und die Musik eine pädagogische Funktion, auch in den Dokumentarfilmen über den Nationalsozialismus. Guido Knopp zum Beispiel macht im Grunde mit denselben Mitteln seine Filme wie die Reichskultur- und Nazi-Kulturfilmer es auch gemacht haben. Das ist das Entsetzliche.

Karmakar: Mir ist aufgefallen, dass, wenn von deinem Film positiv gesprochen wurde, immer das Argument kam, dass die eigentliche RAF-Zeit ausgeblendet sei. Und beim „Totmacher“ war es so, dass viele Leute gesagt haben, dass er so toll sei, weil man nicht gesehen hat, welche Grausamkeiten er begangen hat. Das war sozusagen im Bild hinter dem Wort versteckt oder eben die Leerstelle, die doch besetzt ist. Da muss man natürlich überlegen, ob im negativen Sinne ein Erfolg nicht auch damit zu tun hat, dass die Leute dann sagen können: Hier haben wir einen wunderbaren Film über die RAF, aber der erzählt überhaupt nichts primär von der RAF, und deshalb ist er auch erträglich und leichter konsumierbar, und deswegen finden wir ihn gut.

Petzold: Ich habe bis jetzt immer das Gegenteil gehört.

Karmakar: Wie bitte?

Petzold: Es war ja nicht so, dass der Film fertig war, und alle gleich gesagt haben, der ist toll. Ich bin nicht umsonst mit dem Film zuerst nach Venedig gegangen und habe nicht gewartet, bis ich auf der Berlinale irgendwas machen kann. Denn als der Film fertig war und die Abnahme von den Filmförderern kam, gab es lange Gesichter, gerade deshalb, weil es keine historischen Momente gab.

„Man kommt immer wieder auf dieselben Bilder zurück“

Bis auf den Ausschnitt von Resnais als Film im Film.

Petzold: Ja, aber auch das war Teil der ästhetischen Konzeption …

Karmakar: … weil du davon ausgehst, dass das bekannt ist. Das Nichtzeigen ist also Teil des Konzeptes. Gleichzeitig habe ich manchmal den Eindruck, dass genau so eine Herangehensweise für diejenigen, die mit dem ganzen Scheiß nichts zu tun haben wollen, das beste Argument ist, um das auch gut zu finden.

Petzold: Das kann dann natürlich passieren.

Karmakar: Darauf will ich hinaus. „Black Box BRD“ kam, kurz nachdem Joschka Fischer im Deutschen Bundestag seine Vergangenheit aufblättern sollte, während die CDU sich dafür eigentlich nicht interessierte, sondern ihm nur schaden wollte. Und da zeigt sich ein ganz bestimmtes und sich wiederholendes Phänomen: dass man sich für das wichtige Thema nicht wirklich interessiert, sondern immer nur so tut als ob, und die Leute trotzdem das Gefühl haben, man würde Geschichte transportieren. Das historische Thema ist aber nur ein politisches Instrument. Genau in diese Zeit fällt die Rezeption eurer Filme. Denselben Mechanismus habe ich beim „Himmler-Projekt“ erlebt, wo es immer wieder heißt, wie toll es sei, dass man dem quasi zuhören könne, ohne dabei zu sehen, wie Leichen herumliegen. Da frage ich mich: Wenn die das so gut finden, was passiert dann eigentlich, wenn ich einen Film machen würde (was ich auch will), in dem gezeigt wird, wie an einem Tag tausend Juden am Graben erschossen werden? Wenn man also genau das Gegenteil macht, statt des Auslassens das totale Besetzen, was ist dann los?

Veiel: Und was ist dann los?

Karmakar: Das weiß ich noch nicht. Mein Förderantrag ist jedenfalls abgelehnt.

Petzold: Es gibt eine Form von Geschichtsüberdichtung, die Ekel erregend ist. Und ich glaube, dass der Film, den ich gemacht habe, auch wenn er nicht den Nationalsozialismus zum Thema hat, und auch eure Filme damit etwas zu tun haben, dass man diese Form von Vergangenheitsstilisierung angreift.

Karmakar: Durch Entzug.

Petzold: Ja, durch Entzug.

Karmakar: Wenn man aber glaubt, dem durch eine Ästhetik des Entzugs etwas entgegensetzen zu müssen, dann zeigt das doch, wie stark diese Art von Inszenierung geworden ist, die uns erzählen will, wie es im Nationalsozialismus gewesen ist. Wir haben alle das Gefühl, dass das so nicht gewesen sein kann. Es ist zum Beispiel fatal, dass in den meisten Filmen über den Nationalsozialismus die Nazis immer wie Deppen in der Gegend herumlaufen. Da muss ich mich doch fragen, wie denn solche Deppen für den Mord an so vielen Menschen verantwortlich sein können. Da gibt es für mich eine riesige Lücke. Zugleich fällt auf, dass es mittlerweile auch permanent Filme über die wilden Siebzigerjahre gibt. Aber was wird da eigentlich erzählt? Immer das Gleiche, man kommt immer wieder auf dieselben ikonischen Bilder zurück: Erst der Schahbesuch in Deutschland, als Nächstes der Vietnamkrieg und dann die Mai-Demos in Frankreich.

Veiel: Dieses Phänomen hast du mit Auschwitz auch, die Rampe, Bergen-Belsen. Es gibt einen Vorrat kollektiver Bilder, die immer wieder reproduziert werden.

Karmakar: Ganz genau. Es gibt weder einen Spielfilm noch einen Fernsehfilm, in dem derjenige, der den Schah von Persien in Berlin empfangen hat, als Protagonist erzählt, was er gedacht hat und was das für ihn bedeutet hat. Oder nimm den Kiesinger: Man macht immer nur einen Film über die Klarsfeld, die dem Kiesinger die Ohrfeige gibt. Wo ist der Film, in dem der Kiesinger mir etwas dazu erzählt? Das wird komplett ausgeblendet.

Der Deutsche Filmpreis ist ein wichtiges Ereignis. Der Bundeskanzler kommt selbst, statt einen Staatssekretär zu schicken. Könnte es sein, dass die Filmemacher instrumentalisiert werden? Man macht den Film zur Staatskultur und zieht dabei auch Filme heran, die hochpolitische Themen behandeln. Und man findet es gut, dass diese Filme Leerstellen haben, weil man es so genau gar nicht wissen will.

Veiel: Da muss man differenzieren. Zum einen gibt es weiter auch die Verweigerung, also etwa bei Otto Schily, der eben nicht in diesen Diskurs einsteigt. Dass Schröder hinkommt zu so einer Glamourveranstaltung, das ist das eine. Das Zweite ist, was an Debatten läuft, wo wir Debatten fordern und wo wir freundlich nicken. Meine Haltung ist ganz klar, diese Debatten zu fordern. Das heißt, Schily in den Ring zu zwingen und zu sagen, dass man es eben nicht dabei bewenden lassen kann, dass wir ein paar Preise kriegen. Hinzu kommt die Mephistofrage: Wo setzt die Verführbarkeit an, in die Aura der Macht einbezogen zu werden? Wo setzt die Bestechlichkeit ein, bestimmte Dinge nicht mehr zu sagen? Man kann es aber auch so sehen, dass man in den Status des Hofnarren erhoben wird, der alles sagen darf.

Karmakar: Das „Himmler-Projekt“ ist zunächst auf enormen Widerstand gestoßen. Da gab es sogar Leute in der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, die zweimal bewusst verhindert haben, dass ein Verleih wie X-Film mit fünf Kopien diesen Film ins Kino bringt.

Das hört sich so an, als ob die Zeiten des Friedrich Zimmermann noch existieren.

Karmakar: Ich würde dem sofort zustimmen. Zimmermann war sichtbar, während er heute nicht mehr sichtbar, aber genauso da ist.

„Schon der Blick auf die andere Seite galt als Verrat“

Petzold: Zimmermann ist noch so ein Damiano-Damiani-Typ, den stellt man sich immer in einer Villa am Rande von Paris vor, mit 60 Schalthebeln in der Hand. Heute ist das viel subtiler und komplexer.

Veiel: Ein komplexes System von Trends, Verweigerungen, Modeerscheinungen. Manchmal geht es auch darum, ob man sich mit jemandem schmücken kann. Wer als Schmückstück gilt, egal was er macht, genießt Narrenfreiheit.

Petzold: Ich finde es viel schlimmer, Narrenfreiheit zu bekommen vom Fernsehen, als vom Zimmermann etwas verboten zu kriegen.

Die Filmförderer sehen weniger auf den Inhalt als darauf, wo der Verkauf ist, welches Nischenpublikum es gibt und wie viele Nischenpublika eine Gesamtmenge ergeben, die den Break even bringt. Wie begegnet man solchen Anforderungen, gerade wenn es um politische Themen geht?

Petzold: Ich habe nur ein Mal Förderung in Anspruch genommen. Da habe ich nicht das Gefühl gehabt, dass von den Förderern in irgendeiner Weise Politik gemacht worden ist. Ich finde es viel schlimmer, dass bei uns so getan wird, als ob es eine Filmwirtschaft gäbe. Und es gibt ganz viele Leute, die das Spiel mitspielen mit Zigarren, Hotelzimmern und Mädchen, roten Teppichen, Limousinen und all dem Zeug. Im Grunde spielen die Film nach, in einer Fünfzigerjahre-Aufführung. Der Wirklichkeit, wie hier Filme gemacht werden, entspricht das überhaupt nicht.

Karmakar: Das sind Versuche von Förderern, so etwas wie eine Professionalisierung bei uns einzuführen, weil wir im weltweiten Vergleich ein absolutes Filmentwicklungsland sind. Die Taiwanesen, die Chinesen, die Japaner, die Dänen, die Österreicher, die Iraner, die haben eindeutig mehr Geltung als wir. Und die Förderer glauben nun, das würde besser, wenn man schon im Drehbuchstadium erklärt, wie das Marketingkonzept für einen Film aussieht. Das glauben die, denn das ist ein Modell, mit dem in Amerika operiert wird. Nur: In Amerika überlegen die sich, ob sie einen Film mit Brad Pitt oder Julia Roberts besetzen, um ihr Produkt weltweit durchzusetzen. Insofern ist es natürlich absurd, dieses Modell einfach zu adaptieren, weil wir Brad Pitt oder Julia Roberts schlicht nicht haben, um in Amerika einen Coup zu landen.

Im Grunde ist die gesamte Filmförderung aus ökonomischer Sicht eine Katastrophe. In der freien Wirtschaft würde keiner von denen eine Aufsichtsrats- oder Vorstandssitzung überstehen. Die wären alle Konkurs und weg vom Fenster. Aber damit das nicht passiert, sind die halt beim deutschen Film.

Petzold: Das hängt damit zusammen, dass der einzige deutsche Film, der wirklich etwas getaugt hat, der Autorenfilm war. In den Achtzigerjahren, mit dem Antritt von Helmut Kohl …

Karmakar: … und dem Tod von Fassbinder, das ist dasselbe Jahr: 1982 …

Petzold: … fängt plötzlich diese Art von Ausrichtung auf den Markt an, und gleichzeitig geht auch noch das Privatfernsehen los. Da kommt dieses Verständnis her, an das heute gar keiner mehr glaubt, nur noch die Leute, die sich aus diesen Töpfen bedienen. Dieses ganze Zeug – durch Fußgängerzonen zu gehen und Titel ankreuzen zu lassen, um den marktgängigsten herauszufinden – das ist doch Humbug.

Die ungekürzte Fassung dieses Gesprächs ist nachzulesen in „Politik im deutschen Kino“, der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation.