: FDP eiert um den schiefen Turm
„Angebotsvielfalt“ oder Dreizügigkeit? Bremens FDP hat schulpolitisch außer großen Sprüchen nicht viel zu bieten. Eine Liberale sagt sogar, der Staat soll sich aus dem Schulwesen zurückziehen
Sie kamen als letzte im Bremer Polit-Reigen und hatten sich hübsche Dekoration für ihre Pressekonferenz ausgedacht: Wörter wie „Fysik“ und „Apitur“ aus Russisch Brot lagen auf dem Tisch. Aber was die Bremer FDP zu den Ergebnissen der Pisa-Ländervergleichsstudie zu sagen hat, klingt nicht durchdacht. Kein Wunder, hat die Partei doch vergeblich versucht, die Studie vor der offiziellen Vorstellung am Dienstag zu bekommen.
Parteichef Claus Jaeger beschäftigt immer noch die Vergangenheitsbewältigung: Die FDP sei in der Ampelkoalition dem damaligen Bildungssenator Henning Scherf (SPD, 1990-1995) in den Arm gefallen, als der die letzten Gymnasien abschaffen wollte. „Wir waren schon immer für die Angebotsvielfalt.“
Aber mit seinem bildungspolitischen Sprecher hat sich Jaeger offenbar nicht richtig abgesprochen: Der junge BWL-Student Marco Horstmann fordert unverhohlen die Rückkehr zum bayerischen Modell, einem „dreigliedrigen, durchlässigen Schulsystem, ohne Brüche nach der sechsten und zehnten Klasse“. Erst auf Nachfragen erklärt er, wie sich das mit der „Angebotsvielfalt“ vertragen soll: „Die Schulen sollen ihr Geld pro Schüler erhalten. Ich gehe davon aus, dass dann mit den Füßen abgestimmt wird“ – gegen die Gesamtschulen, versteht sich.
Claudia Kühne, Bundestagskandidatin der Bremer FDP, lässt ihr Kind zur Einschulung lieber mit dem Vater in Sachsen zurück, das im Pisa-Länderranking mit dem geringsten finanziellen Aufwand immerhin auf dem dritten Platz landet. Dort würden ab der ersten Klasse drei Fremdsprachen unterrichtet, behauptet die engagierte Mutter. Und wer nicht zur Schule gehe, werde von der Polizei eingesammelt und vorgeführt. Schließlich gerät sie endgültig aufs bildungspolitische Glatteis: „Wir wollen, dass der Staat nur einheitliche Prüfungen garantiert.“ Also nur noch Privatschulen? „Finden Sie wirklich, dass der Staat sich in die Bildung einmischen muss?“, kontert Kühne, „Wir sind dagegen, dass der Staat alles regelt“, triumphiert sie noch. Mist, falsches Stichwort. Der Blick geht hilfesuchend zum Vorsitzenden.
Der fordert: Die Orientierungsstufe müsse weg. Sie habe niemandem genutzt, das habe auch Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Sigmar Gabriel erkannt und gegen die eigene Partei durchgesetzt. Und das Abitur nach 12 Jahren soll die Norm werden, obwohl die BremerInnen bisher nach der 12. Klasse gerade das Niveau eines bayerischen Zehntklässlers erreichen. Jaeger fürchtet jetzt „Bremerwitze, wie weiland über die Ostfriesen“.
Verantwortlich ist dafür laut FDP-Mann Claus Jäger kein geringerer als Henning Scherf: „Willi Lemke hat gesagt, wenn er schon in der Verantwortung gestanden hätte, würde er jetzt zurücktreten. Das muss man als Rücktrittsforderung an Scherf verstehen.“ jank
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