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Zwischen zwei Fronten

Eigentlich sind die rot-grünen Entwicklungskonzepte nicht schlecht. Doch weil der Etat drastisch gekürzt wurde, verbrachte das Ministerium vier Jahre in Verteidigungshaltung

Die angekündigte rot-grüne Trendwende in der Entwicklungspolitik ist der Regierung nicht gelungen

Entwicklungspolitiker unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen Finanzminister Hans Eichel zu sein ist kein Traumjob. Im ersten Fall heißt es, permanent gegen Desinteresse ankämpfen zu müssen; im zweiten gegen die Sparkeule. Die Beteiligung der Grünen an der Regierung macht die Sache nicht einfacher: Immerhin sind mit den Grünen Leute an die Macht gekommen, die schon früh von „Solidarität mit der Dritten Welt“ gesprochen hatten, von „Handel statt Hilfe“ und von „nachhaltiger Entwicklung“. Da kann nicht verwundern, dass nach Jahrzehnten dröger Brunnenbaumentalität im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenabreit (BMZ) eine ganze Bewegung – darunter viele heutige BMZ-Mitarbeiter – enorme Erwartungen hatte.

Dass die BMZ-Spitze mit einer SPD-Politikerin besetzt wurde, dämpfte die Erwartungen der entwicklungspolitischen Expertenschaft wenig. Heidemarie Wieczorek-Zeul gehört zum linken Flügel der SPD und hat ähnliche Vorstellungen von Entwicklungszusammenarbeit wie die Grünen. Außerdem stammt die zweite Frau im Ministerium, die grüne Staatssekretärin Uschi Eid, wie viele Mitglieder der heutigen Entwicklungsverbände aus Chilekomitee-Kreisen. Doch trotz dieser zumindest von außen betrachtet guten Startbedingungen standen die rot-grünen Entwicklungspolitiker von Anfang an zwischen zwei Fronten: Sie mussten die Sparpolitik des Finanzministers angreifen und sich gleichzeitig gegen die Kritik der enttäuschten Entwicklungsverbände verteidigen.

Dabei war Rot-Grün mit zwei ganz großen Versprechen angetreten: Erstens: mehr Geld für Entwicklungspolitik zur Verfügung zu stellen und damit „den Abwärtstrend im Haushalt umzukehren“, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Zweitens: ein neues Verständnis von Entwicklungspolitik zu etablieren. Das erste Versprechen hat die Regierung schon kurz nach ihrem Antritt gebrochen. Dem Ressort wurden die Mittel gekürzt – um mehr als 8 Prozent gleich im ersten Jahr Eichel. Von diesem Schlag hat sich das BMZ bis heute nicht erholt, auch wenn der Etat mit Geld aus dem Stabilitätspakt für Südosteuropa und dem Antiterrorfonds wieder optisch repräsentabel gemacht wird. Dass die Mittel für die eigentliche Entwicklungszusammenarbeit gekürzt wurden, ist zwar nicht die Schuld der zuständigen Ministerin – aber es fällt auf sie zurück, weil sie wegen des knappen Geldes oft nur Tröpfchenpolitik betreiben kann.

Was das zweite Versprechen betrifft: Konzeptuell – und wegen fehlenden Geldes oft notgedrungen symbolisch – hat die rot-grüne Regierung zunächst eine bessere Entwicklungspolitik betrieben, als viele ihr vorwerfen. Trotz der knappen Mittel hat sie Türen geöffnet, die kommende Regierungen weiter aufstoßen können, wenn der Etat des Ressorts es irgendwann zulassen wird. Dazu gehört die Erkenntnis: Konflitkvermeidung spart viel Geld. Begrüßenswert also die Idee, Fachkräfte im zivilen Friedensdienst auszubilden und mit BMZ-Mitteln zu fördern – bis dahin gab es dies nur auf nichtstaatlicher Ebene. Doch über einen symbolischen Beitrag zum Frieden in der Welt kam diese deutsche Inititative bis jetzt nicht hinaus – nicht mit den spärlichen Finanzzusagen von 10 Millionen Euro in diesem Jahr und gerade mal 100 Fachkräften.

Zu den sinnvollen rot-grünen Akzenten gehört auch die Förderung von regenerativen Energien in den Entwicklungsländern. Noch steckt der Export von Windkraftanlagen und Solarzellen zwar in den Kinderschuhen – aber der erste Schritt ist getan. Das BMZ hat Geld in Machbarkeitsstudien gesteckt, finanziert Partnerschaften mit privaten Unternehmen. Selbst ein künftiger CSU-Entwicklungsminister wird nicht so dumm sein und dieses Rad zurückdrehen.

Auch Engagement auf internationalen Konferenzen ist neu in der deutschen Entwicklungspolitik. Auf dem UN-Gipfel im März in Monterrey packte Wieczorek-Zeul eine Machbarkeitsstudie zur Tobin-Steuer aus, obwohl das mächtigere Finanzministerium sich vehement gegen eine solche Spekulationssteuer stellt und der US-Präsident das Wort zum Tabu erklärt hat.

Das BMZ hat also einiges erreicht – aber der ganz große Wurf ist Rot-Grün auch bei dem zweiten Versprechen, neue Konzepte durchzusetzen, nicht gelungen. So hat das Ministerium die gute und moderne Idee einer „globalen Strukturpolitik“ statt einer rein projektbezogenen Entwicklungshilfe nicht wirklich umgesetzt. Eigentlich hätten künftig alle Vorhaben der Regierung auf ihre entwicklungspolitischen Konsequenzen untersucht werden sollen – doch das Gegenteil ist der Fall: Entwicklungspolitische Begehren hatten sich auch unter Rot-Grün in den allermeisten Fällen wirtschafts- und außenpolitischen Interessen unterzuordnen.

Das zeigt etwa die Reform der Hermesbürgschaften, mit denen deutsche Firmen ihre Exporte in Entwicklungsländer vom Staat absichern lassen. Die Kriterien zur Vergabe solcher Garantien wollten vor allem die Grünen und das BMZ so ändern, dass zum Beispiel Staudammbauten nicht mehr gedeckt werden dürfen, wenn sie Menschen obdachlos und arm machen – und damit den BMZ-Zielen der Armutsbekämpfung widersprechen. Durchgesetzt hat sich jedoch das Wirtschaftsministerium: Nach wie vor gelten keine verbindlichen Kriterien für die Wirtschaft.

Nach Jahrzehnten dröger Brunnenbaumentalität bestanden enorme Erwartungen in das neue BMZ

Ähnlich verhält es sich mit der Summe, die das BMZ für den Balkan-Stabilitätspakt springen lassen muss: 100 Millionen Euro für Südosteuropa sind beinahe doppelt so viel, wie jeder der drei Hauptempfänger deutscher Entwicklungsgelder – China, Ägypten, Indien – erhält. Gewiss, diese Summe stammt ursprünglich nicht aus dem BMZ-Haushalt, sondern ist dort aus kosmetischen Gründen eingespeist worden. Mit Sicherheit jedoch hätte der Finanzminister nicht so viel Geld gegeben, wenn es sich um eine beliebige arme Region in Afrika gehandelt hätte, an der nur das BMZ aus entwicklungspolitischen Gründen ein Interesse hat. Der Grund für die Großzügigkeit ist ein Interesse an einem stabilen Balkan, also Außenpolitik. Gleiches gilt für die Zentralasienhilfe, so sinnvoll sie sein mag.

Einmal jedoch setzte sich das BMZ mit seiner Position an prominenter Stelle durch: beim Schuldenerlass für Entwicklungsländer, der auf dem Kölner G-8-Gipfel 1999 beschlossen wurde. Ein Wochenende lang war die Entwicklungspolitik wichtiger als die Interessen des Finanzministers, in dessen Taschen die Zinsen und Tilgungen aus dem Ausland immerhin fließen. Das lag daran, dass sich in Köln die Bundesregierung in seltener Einmut als Gastgeber der G 8 mit diesem Erfolg profilieren wollte.

Was bleibt von vier Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik? Gute Ansätze, redliches Mühen. Und vielleicht die Erkenntnis, dass zu viel entwicklungspolitische Expertise im BMZ Ressourcenverschwendung ist. Solche Fachleute sollte man in Zukunft besser auf Schlüsselposten in besonders wichtigen Ministerien setzen – dann wird Entwicklungspolitik irgendwann doch noch wichtig. KATHARINA KOUFEN

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