: berliner szenen Der Totalverweigerer
Knastgang für Ringo
Einsam und ein wenig abseits der Bornholmer Straße liegt das ehemalige Pankower Botschaftsviertel wie im Dornröschenschlaf. Viele der kastenförmigen Betonbauten sind längst verlassen, Gras und Gebüsch wuchern hüfthoch. Immerhin: Die Kubanische Vertretung harrt noch tapfer aus, ein bunter Wimpel baumelt träge im Wind. Schräg gegenüber wirbt ein Plus-Markt für die Verbindung von Ökonomie und Hedonismus: „Prima leben und sparen“. Das Mehrzweckgebäude teilen sich die orange-blauen Lebenskünstler mit der Landfleischerei Neese. An der Außenwand leuchtet nicht ganz unpassend die Graffiti-Parole: „Wir trauern um Euer Gehirn.“ Auch die Freie Deutsche Jugend nutzt diese Mauer für ihre Anschläge: „Spendet für Ringos Totalverweigerer-Prozess!“, fordern zahllose Plakate.
Ringo aus Meck-Pomm ist nicht unterzukriegen. Sein Land wurde annektiert, das Volksvermögen geklaut, die Armee aufgelöst. Jetzt soll Ringo die olivgrüne Uniform der Besatzerarmee tragen. Tut er aber nicht. Schließlich fühlt er sich immer noch als DDR-Bürger. Pazifist ist er deswegen aber gerade nicht. Wie ich auf der Homepage der FDJ gelesen habe, hätte er nichts dagegen, in den Reihen der NVA für Frieden und Völkerfreundschaft zu kämpfen. Während Ringo im mecklenburgischen Standortgefängnis antifaschistische Kinderbücher liest, marschieren Rekruten „Heidi, heido, heida“ singend am Zellenfenster vorbei. „Jeder Tropfen Schweiß in der Ausbildung spart Blut im Gefecht“ – das wusste auch schon die NVA. Ringo hat ja angeblich Realschulausbildung. Doch beim Warten an der Supermarktkasse fällt mir dann ein: Auch bei den Beatles war Ringo eigentlich nicht gerade der Superüberflieger.
ANSGAR WARNER
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