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Der Vampir mit der Kamera

Ein Film, der zumindest viele Fragen stellt: „War Photographer“ von Christian Frei über den Fotografen James Nachtwey – und eine Podiumsdiskussion im Zeise-Kino

von URS RICHTER

„Wenn Krieg die Folge des Zusammenbruchs der Verständigung ist, dann ist Fotografie als eine Form der Verständigung das Gegenteil von Krieg; richtig eingesetzt, kann sie sogar zum Gegengift werden.“ Die Fotografie, der James Nachtwey solche Wirkung zutraut, ist jene zur Kriegsberichterstattung. Mit ihr hat er viel Erfahrung, seit 1981 unterwegs an Orten, an denen Konflikte mittels brutaler Gewalt ausgetragen werden oder an denen unfaßbare Armut herrscht.

Angesichts all des Elends ist der Fotograf auch nach jahrzehntelanger Arbeit mitnichten zum Berufszyniker geworden. Nachtwey ist ein integrer, stiller Mensch, der weder mit seinem Mut, noch mit seiner Verletzbarkeit hausieren geht. Und Nachtwey hat Erfolg. Sein fotografisches Werk ist Magazinen eine Sonderausgabe wert und Galerien eine Einzelausstellung. Die wichtigsten Agenturen und Redaktionen sind seine Auftraggeber. Er liefert ihnen das Material für ganzseitige Hochglanzstrecken von Menschen gemachter Katastrophen. „Lass uns das noch mal vergrößern, das sieht toll aus“, entscheidet der Bildredakteur beim Stern und meint Leichenhaufen, die vom Lastwagen kippen.

Genau hier beginnt auch die Lebenslüge des Fotografen. Auch wenn er beteuert, die Motivation seiner Arbeit seien „pictures, powerful enough to end war“, sind seine machtvollen Bilder des Schreckens immer zugleich schöne Bilder des Schreckens. Was da großformatig an Galeriewänden nebeneinander hängt, wird untereinander indifferent. Denn je genauer Nachtwey jenen berühmten Moment erwischt, umso stärker entzieht sich seinen Fotos ihre ursprüngliche Historie. Dieser Nivellierung im Ästhetischen leistet Nachtwey zusätzlich Vorschub, indem er das viele rote Blut in Schwarzweiß reproduziert und damit das Expressive seiner Kunst betont.

Wie groß die Distanz zwischen wirklichem Dabeisein und bildlicher Wiedergabe ist, lässt sich nun trefflich bemessen anhand eines Porträts, das der Schweizer Christian Frei über Nachtwey gedreht hat. Mit kleinem Team begleitete Frei den War Photographer zwei Jahre bei der Arbeit. Eidgenössische Präzisionstechnologie ermöglicht einen unmittelbaren Vergleich zwischen bewegten Bildern vor Ort und den auf Fotos festgehaltenen Augenblicken: Eine winzige Digitalkamera wurde an Nachtweys Photoapparat montiert, beider Bildausschnitt stimmt exakt überein und Frei schneidet zwischen den Medien hin und her.

Die Doppelung erlaubt erstaunliche Einsichten, etwa über das Zusammenwirken zwischen Fotograf und Fotografierten. Im Sarg wird ein exhumierter UCK-Kämpfer aus dem Massengrab zurück ins Dorf seiner Familie gebracht. Herbeiströmende Frauen trösten die Mutter, aber werden von anderen Dörflern zur Seite gedrängt, damit Nachtwey die frontaleren, unverdeckteren Bilder schießen kann.

Beachtlich auch, welche Unmengen Negative im Laufe eines langen Tages belichtet werden. Nach welchen Kriterien dann aber die klitzekleine Auswahl getroffen wird, die überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt, wird leider nicht thematisiert. Der Film dokumentiert kaum, wie Bilder nach ihrer Entstehung noch dramaturgisch manipuliert werden: Hier das Grauen leerer Fensterhöhlen geschwärzt, dort Gleise, die ins Nichts führen, nachbelichtet. Die sehr bedachtsame Selektion und Nachbearbeitung der Fotos hätte Frei richtigerweise dem schnellen Reagieren an der Front entgegenstellen müssen.

So aber vermitteln sich vornehmlich Eindrücke, die Nachtwey selbst wohl vermieden hätte. Eine zweite Mikrokamera an seinem Photoapparat ist rückwärts gerichtet, und keins seiner Worte, kein Um-Luft-Ringen, keine Schweißperle entgeht unserer Aufmerksamkeit. Unweigerlich heroisiert solche Unmittelbarkeit. Ein Übriges zum Pathos leistet die Offmusik, eine üble Mixtur aus Arvo Pärt-Weltflucht und Donnergrummeln.

Trotzdem ist der Film sehenswert, weil er viele Fragen zumindest stellt. „Bin ich der Vampir mit der Kamera?“, lautet Nachtweys ureigenste – sie bleibt unbeantwortet. Und doch: Kriegstreiber fürchten die Dokumentation ihrer Taten. Das spricht dafür, dass Leute wie Nachtwey, indem sie Symptome protokollieren, auch etwas über deren Ursachen bloßstellen.

Preview und Podiumsdiskussion (mit Hans-Herman Klare, Auslandschef des Stern; Arnim Stauth, WDR-Auslandskorrespondent; Barbara Petersen, Reporter ohne Grenzen; Götz Warnke, DJV-Vorstand und Christian Frei): heute, 20 Uhr, Zeise; Filmstart: 11.7.

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