: Weltpolizist vs. Weltgericht
Die US-Regierung nutzt jedes politische Druckmittel gegen den neuen Internationalen Strafgerichtshof
von BERND PICKERT
Pünktlich zum In-Kraft-Treten des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) am gestrigen 1. Juli hat die US-Regierung die erste ernsthafte diplomatische Krise um die Arbeit des Gerichtshofs inszeniert. Im UN-Sicherheitsrat blockierten die USA per Veto die Verlängerung des Mandats für die UN-Friedensmission in Bosnien. Zuvor hatten die anderen 14 Mitglieder des Weltsicherheitsrats einen Antrag der USA abgelehnt, mit dem US-amerikanischen Sicherheitskräften per se Immunität vor dem Zugriff des IStGH zugesichert werden sollte.
Bereits vor einigen Wochen hatte die US-Regierung angekündigt, ihre Zustimmung zu UN-Friedensmissionen neu zu überdenken, sollte das Rom-Statut tatsächlich in Kraft treten. Jetzt haben sie ihre Drohung wahr gemacht. Um Zeit für Verhandlungen zu schaffen, wurde das UN-Mandat für Bosnien schließlich um drei Tage verlängert – statt wie geplant am 31. Dezember läuft es am morgigen Mittwoch aus.
Die Sorgen der USA wirken angesichts der Faktenlage erneut überzogen. Zwar hat Bosnien-Herzegowina am 11. April dieses Jahres das Rom-Statut ratifiziert. Damit können Verbrechen gegen die Menschheit, Völkermord und Kriegsverbrechen, die auf dem Territorium Bosnien-Herzegowinas begangen werden, in die Zuständigkeit des IStGH fallen, wenn die bosnische Justiz sich nicht in der Lage sieht oder nicht willens ist, sie selbst zu behandeln. Andererseits aber sieht das Daytoner Friedensabkommen von 1995 – die Grundlage der Friedensmissionen – ohnehin Immunitätsregelungen sowohl für die Mitglieder der Polizeitruppe als auch die SFOR-Soldaten vor. In Anhang 11, Artikel II, Absatz 6 heißt es, die Mitglieder der Polizeitruppen seien „vor jeder Form von Festnahme oder Verhaftung geschützt und genießen vollständige Immunität vor Strafverfolgung“. Und im Appendix B zum Anhang 1A, Absatz 7 des Dayton-Abkommens heißt es: Das „Militärpersonal der Nato ist unter allen Umständen und zu jedem Zeitpunkt in Bezug auf straf- und disziplinarrechtliche Vergehen, die sie in der Republik Bosnien-Herzegowina begehen könnten, ausschließlich der Rechtsprechung ihrer jeweiligen nationalen Gerichtsbarkeiten ausgesetzt“. Eine solche Regelung ist im Prinzip mit dem Rom-Statut gut vereinbar, denn die nationale Justiz erhält darin ausdrücklich Vorrang vor einer Zuständigkeit des IStGH.
So versuchten die anderen Mitglieder des Weltsicherheitsrats am Sonntag, die USA davon zu überzeugen, dass eine Anklageerhebung gegen einen Angehörigen der US-Sicherheitskräfte vor dem IStGH in jeder Beziehung unwahrscheinlich sei – ohne Erfolg. Es scheint, dass es der US-Regierung in Wirklichkeit darum ging, ein starkes politisches Druckmittel gegen den Internationalen Strafgerichtshof auszunutzen, mithin also gegen jede Instanz internationalen Rechts, die auch nur theoretisch US-Interessen zuwiderlaufen könnte.
Bis morgen muss ein Ausweg gefunden werden, soll die Existenz der Internationalen Polizeitruppe, die Ende des Jahres in die Hoheit der Europäischen Union übergehen soll, nicht gefährdet werden. Es ist nicht zu erwarten, dass die USA im Grundsatz einlenken werden. Insofern wäre eine Möglichkeit, dass die USA schlicht ihre 46 Polizisten aus dem Einsatz zurückziehen und sich im Sicherheitsrat bei der Abstimmung enthalten. Frankreich und andere Länder haben einen solchen Vorschlag bereits nahe gelegt. Andernfalls bliebe nur die Möglichkeit, dass die EU früher als geplant das Heft in die Hand nimmt.
Die Zukunft der SFOR scheint zunächst nicht gefährdet. Das muss allerdings nicht für andere UN-Friedensmissionen weltweit gelten. Eine von den USA angezettelte Dauerdiskussion über den Internationalen Strafgerichtshof könnte der Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates deutlich schaden.
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