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Inhuman völkerrechtlich

Staatsanwaltschaft fordert im NS-Kriegverbrecherprozess gegen Friedrich Engel wegen 59-fachen Mordes lebenslänglich. Die Exekution der Partisanen war zwar „rechtens“, aber zu grausam vom Schlächter von Genua durchgeführt worden

Sie standen an der Grube mit Blick auf die sterbenden und toten Kameraden

von PETER MÜLLER/ANDREAS SPEIT

Plädoyer im NS-Kriegesverbrecher-Prozess vor dem Hamburger Landgericht gegen den Ex-Sicherheitschef des Außenkommandos Genua, Friedrich Engel: Für Oberstaatsanwalt Jochen Kuhlmann war die Hinrichtung von 59 Partisanen am 19. Mai 1944 am Turchino-Pass eigentlich völkerrechtlich zulässig, nur die Art und Weise der Exekution sei grausam gewesen und damit als Mord einzustufen. Er beantragte gestern lebenslänglich für den 93-jährigen Rentner und Ex SS-Obersturmbannführer.

Denn auch für Kuhlmann herrschte 1944 in den von deutschen Truppen besetzten Ligurien eine unübersichtliche Lage im so genannten „rückwärtigen Heeresgebiet“. „Es gab eine zunehmende Patisanentätigkeit“, konstatiert er. Und es gab deshalb einen Befehl vom SD-Oberkommandeur in Mailand, Partisanenangriffe mit deutschen Opfern 1:10 zu vergelten. Damit habe Engel durchaus nach dem Anschlag auf das deutsche Soldatenkino „Odeon“ in Genua mit fünf toten Marinesoldaten befehlsgetreu gehandelt.

Er habe auch davon ausgehen können, dass eine derartige Vergeltungsaktion nach dem Kriegsrecht gängige Praxis war: „Repressalienmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg waren völkerrechtlich zulässig.“ Als Engel anordnete, „Partisanen – modern ausgedrückt – Terroristen“, so Kuhlmann, für die Vergeltung aus dem Marassi-Gefängnis zu nehmen, sei dies vom Kriegsverständnis durchaus legitim gewesen.

Doch die Verantworlichkeit für die grausame Durchführung hat laut Kuhlmann – entgegen Engels Beteuerungen, die Marine habe die Befehlsgewalt gehabt – bei Engel gelegen: „Es entsprach auch gar nicht dem Selbstverständnis der SS und des SD, sich solche Maßnahmen aus der Hand nehmen zu lassen.“

Die Opfer wurden unter „akustischer Wahrnehmung der Schüsse zur Grube gebracht“, schildert Kuhlmann die Aktion weiter und wird dabei von der Nebenklagevertreterin Olivia Belotti ergänzt: „Sie standen an der Grube, mit Blick auf die toten und noch sterbenden Kameraden, bevor sie erschossen wurden.“ Darunter 20 italienische Minderjährige, die wegen Kriegsdienstverweigerung bei der Wehrmacht in Haft waren.

Diese Form der Exekution sei von dem Befehl nicht abgedeckt gewesen. „Sie haben sich über den Befehl hinweggesetzt“, ergänzt Kuhlmann. „es ist ihnen nie befohlen worden, die Opfer auf grausame Art und Weise erschießen zu lassen.“ Engel habe „aus gefühlsloser und unbarmherziger Gesinnung gehandelt“.

Engel, der mit gesenktem Kopf den Plädoyers folgte, konterte energisch: „Ich widerspreche mit aller Entschiedenheit der Anklage.“ Er ist der Überzeugung, den Partisanen mit der Exekution ohne Augenbinde eine militärisch ehrenvolle Hinrichtung gewährt zu haben.

siehe auch SEITE 2

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