piwik no script img

Apfelschorle und Klartext

Der Bundestagskandidat Werner Schulz trifft im Prenzlauer Berg die schärfsten Sparer der Grünen. Das „neue bündnisgrüne Milieu“ ist ganz angetan von Oswald Metzger und Oliver Schruoffeneger

von ROBIN ALEXANDER

Im Café Bernstein, Prenzlauer Berg, ist an diesem Dienstagabend ein grünes Kneipengespräch zum Thema Sparen angekündigt. Von wegen Kneipe: Hell und offen ist es im Bernstein, gar nicht verstunken, auf der Theke stehen teure Rotweinflaschen in Viererreihen. Pils oder gar Schnaps trinkt hier niemand, sondern Apfelschorle. Eine Atmosphäre, in der man kaum zu rauchen wagt. Vielleicht ist gesundheitsbewusster Hochqualitätskonsum ja nicht nur die politische Botschaft der Obergrünen Renate Künast, sondern das eigentlich identitätsstiftende Element der Partei.

Von den dreien, die heute Abend vortragen, ist Oliver Schruoffeneger noch am klischeekompatibelsten. Im Abgeordnetenhaus gilt der Haushaltsexperte als kompetente Nervensäge. Nach einem langen Arbeitstag sieht der Vollbartträger im weißen, weit offenen Hemd noch entspannt und schön aus, wie ein von jedem Selbstzweifel unbeleckter Mensch.

Ganz anders der neben ihm sitzende Werner Schulz. Weißgraue Haare und Bart zum schwarzen Jackett rahmen scharf kontrastierend Augenringe und Mundwinkel ein, die aussehen, als hätten sie in 52 Lebensjahren nicht zu viel gelächelt: die Melancholie des Klugen im politischen Betrieb. Als DDR-Bürgerrechtler hat Schulz Renitenz trainiert und auch bei den Grünen Leidensfähigkeit bewiesen: 1998 ließ ihn die Bundestagsfraktion trotz Versprechen und Probeabstimmung als Fraktionsvorsitzender gegen Rezzo Schlauch durchfallen. Die Erkenntnis, dass baden-württembergische Besserverdiener keine ausreichende gesellschaftliche Basis für eine deutschlandweit agierende Partei sind, setzte sich vier Jahre später immerhin bei den Ostberliner Grünen durch: Gegen die Konkurrenz der Friedensikone Christian Ströbele und der Exministerin Andrea Fischer nominierte die Basis überraschend den Ossi Schulz auf einen aussichtsreichen Platz für den Bundestag. Nun macht Schulz also Wahlkampf und hat neben Schruoffeneger auch noch den einzigen echten Finanzexperten der Bundestagsfraktion geladen. Der heißt Oswald Metzger und sieht mit blauer Barbourjacke, Brille und Ehering an babyspeckdickem Finger auch so aus. Metzger hat als Quotenopfer keine Chance, wieder in den Bundestag einzuziehen.

Metzger, Schruoffeneger und Schulz sind sich in ihrer Beurteilung Berlins einig:

1. Michaele Schreyer hat es alles vorhergesagt.

2. Berlin spart ganz falsch.

Metzger, der als sein erstes politisches Anliegen versteht, „den Geldbeutel des Individuums vor dem Zugriff des Staates zu schützen“, nennt den Sparkurs des rot-roten Senats einen „Witz“. Hier seien „Flachlandtiroler“ am Werke, Klaus Wowereit sei ein Regierender, der „außer seinem Outing noch nichts bewegt habe“. Überhaupt sei Berlin in toto „versaut durch Subvention“ und „ohne Dienstleistungsmentalität“.

Oliver Schruoffeneger spricht konkreter, schlägt aber in die gleiche Kerbe. Die Berliner Misere illustriert er mit dem Beispiel eines BVG-Busfahrers. Dieser verdiene vierzig Prozent mehr als sein privat beschäftigter Kollege, arbeite zwanzig Stunden weniger und genieße eine zusätzliche Altersversorgung. Personalabbau im öffentlichen Dienst (Schruoffeneger: „Entschlackung“) sei unabwendbar. Metzger prophezeit: Ohne betriebsbedingte Kündigungen wird es nicht gehen.

Schulz beschränkt sich auf die Rolle eines Moderators und verdichtet die profanen Beispiele seiner Gäste literarisch: „Selbst der Himmel über Berlin wird subventioniert“ (zu Flugshows) oder „Der Filz hat jetzt einen roten Wirkfaden“ (zur PDS im Senat). Die Basis – im Café Bernstein durch 24 Besucher repräsentiert – ist mit ihren Matadoren zufrieden. Jede Menge Zorn kocht hoch – auf „diese unglaubliche GEW-ÖTV-Stadt“, auf die „mafiöse Bauverwaltung“ und das initiativenfeindliche Klima.

Werner Schulz schwärmt anschließend, hier im Prenzlauer Berg bilde sich ein „echtes bündnisgrünes Milieu“, dies sei „jung, ost- und westdeutsch geprägt“. So etwas finde man in Leipzig, Dresden und anderen ostdeutschen Städten. Mit 400 Mitgliedern sei der Kreisverband Pankow der größte dieser „Kerne“. „Sie wachsen langsam“, meint Schulz „aber sie wachsen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen