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herr tietz macht einen weiten einwurfFRITZ TIETZ über väterliche Erklärungsnöte

Wo bleibt die Käsefrisur?

Als wir letzten Sonntag das Endspiel guckten, fragte meine Tochter (4) plötzlich, wann denn der mit den Käsehaaren endlich wieder mitspiele. Wir hatten keine Ahnung, wen sie meinte. Um so vehementer und je länger wir ihr die Antwort schuldig blieben, auch immer quengelnder verlangte die Kleine, endlich diesen ominösen Käsehaarigen zu sehen. Langsam wurde es nervig, aber wir hatten wirklich keinen Schimmer, wen sie eigentlich meinte. Am Ende hat sie das Rätsel selbst gelöst, als sie, inzwischen vom „blöden Fußballgucken“ zum Malen gewechselt, in der als Klecksunterlage ausgelegten Zeitung unter lautem Jubel ein Foto Christian Zieges entdeckte, das ihn noch mit jener obszönen schwarzen Scheitelbürste zeigte, die er in den ersten Spielen als Kopfschmutz trug. Damit hatte er bei meiner Tochter einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Was denn der Doofi da oben drauf habe, wollte sie damals wissen, worauf ich’s ihr erklärte: Eine Irokesenfrisur – was dann als Käsefrisur hängen blieb.

Auch sonst wurde ich beim WM-Gucken mit der Familie arg gefordert, weil mich vor allem meine ältere Tochter (9) ständig mit allen möglichen Fach- und Fangfragen löcherte. Da schwante mir, dass Fußball vielleicht doch komplizierter ist, als ich bisher dachte. Wie sonst konnte mich etwa die Einwurfregel in solche Erklärungsnöte bringen? Die Tochter wollte einfach nicht verstehen, warum man, wo es doch Fußball heißt, den Ball mit der Hand einwerfen darf. Und dann biegen Sie mal einer Neunjährigen bei, die Sie gerade mit viel Mühe in die Gelbe-Karten-Regelung eingewiesen haben, warum Neuville trotz zweier gelber Karten plötzlich doch mitmachen darf.

Ihr die Abseitsregel zu erklären, erschien mir ein Leichtes dagegen. Ich tat dies mithilfe einer Skizze, die ich ihr schön bunt aufmalte. Diese Skizze hat sich meine Tochter nachher in ihr Tagebuch geklebt. Als sie mir das erzählte, wurde mir etwas bang. Hoffentlich, dachte ich besorgt, habe ich auch alles richtig skizziert. Nicht dass sie später selbst mal aktiv wird oder einen kleinen Fußballer als Freund hat und dem dann meine Skizze zeigt, und dann finden sich da lauter Fehler; ich begann ernstlich an meinen bis dahin sicher geglaubten Kenntnissen zu zweifeln?

Groß war auch die Tochter-Verwirrung, als plötzlich der Endspielreporter Lucio und Schneider als Vereinskameraden bezeichnete. Ob Schneider sonst bei Brasilien mitspiele, wollte sie da wissen, oder der Brasilianer normalerweise zu Deutschland gehöre? Versuchen Sie das mal zu entwirren, während gleichzeitig Oliver Neuville, von dem die Tochter gerade erst im Hanuta-WM-Album gelesen hatte, dass er geborener Schweizer ist, ins Spiel eingreift und bei dieser Gelegenheit ebenfalls als Lucios Vereinskamerad vorgestellt wird.

Absolut unerklärlich blieb ihr jedoch, wie die Deutschen, trotz Oliver Kahns vorheriger Ankündigung, sie würden auf jeden Fall Weltmeister, dann trotzdem das Finale verloren. Und das auch noch maßgeblich durch die Fliegenfängerei des falschen Propheten, der zu allem Überfluss längst zum Lieblingsspieler meiner Tochter aufgestiegen war. Was mich, nebenbei, eh ziemlich störte, weil ich Kahn schon wegen seiner Unart, nicht mal beim Reden auf sein ekliges Kaugummigegnatsche zu verzichten, für kein besonders geeignetes Töchter-Vorbild halte. Von seinem krankhaften Ehrgeiz ganz zu schweigen.

Vom „reinen Kahnsinn“ sprach die Bild-Zeitung u. a. auch wegen Kahns großspuriger Angebereien bezüglich des Finalausgangs. Meiner maßlos enttäuschten Tochter hat er mit seinem gebrochenen Versprechen allerdings nichts als heftige Kahnschmerzen bereitet.

Fotohinweis:Fritz Tietz, 43, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

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