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Blitze des verkannten Jasagers

Schriften zu Zeitschriften: Die aktuelle Ausgabe der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“ befragt Foucaults Verständnis von Kritik. Raymond Geuss und Judith Butler machen mit beim Plädoyer für den wachen Möglichkeitssinn

Foucaults Versuch, unter den eigenen Füßen zu graben, schuf eine neue Zeitdiagnostik

Wozu noch Philosophie? Sie müsste sich doch längst erledigt haben mit ihren ewigen Fragen nach den ersten und den letzten Dingen. Wider besseren Wissens hält sie jedoch daran fest, dem „diffusen Geschwätz“ (Jürgen Habermas) Einhalt zu gebieten. Dabei ist ihre Deutungshoheit längst an Leute gegangen, deren Autorität nur auf dem Bild beruht, das wir von ihnen haben. So wird das wenige, was sich dieser Medienmacht entgegenstellt, als „Krittelei“ verlacht. Die Philosophen sollten sich wappnen gegen weiteren Statusverlust.

Michel Foucault, einer der besten Fragesteller des vergangenen Jahrhunderts, vertrat ein Verständnis von Philosophie, das von der Autoritätsliebe der Altvorderen deutlich abrückte. Er sah sich eher als beharrlicher Skeptiker denn als grundstürzender Aufklärer. Foucault erhellte nichts, richtete aber punktgenaue Richtstrahlen auf Bereiche, die sich der Beobachtungsgabe anderer vollständig entzogen. Im Versuch, „unter den eigenen Füßen zu graben“, initiierte Foucault eine neuartige Form der Zeitdiagnostik, die auf die übliche Feldherrenperspektive, die königliche Daraufschau, bewusst verzichtete.

Wenn eine altehrwürdige Fachpublikation wie die Deutsche Zeitschrift für Philosophie in ihrer Reihe „Wozu Philosophie?“ Foucault befragt, dann steckt darin auch das Eingeständnis, dass die selbstgewisse Anklage, die Teile des Herausgeberkollegiums in den Achtzigerjahren gegen Foucault vorbrachten, nun einem fragil-koalitionären Verhältnis von brothers in arms gewichen ist. Der Schwerpunkt der jüngsten Ausgabe, der Foucaults berühmten Vortrag „Qu’est-ce que la critique?“ aus dem Jahre 1978 behandelt, knüpft an die Frankfurter Foucault-Konferenz des vergangenen Septembers an, wo die Rehabilitation Foucaults wie eine Umbettung in die Familiengruft der Kritischen Theorie vonstatten ging.

Raymond Geuss (Cambridge) erneuert hier nochmals seinen Vorschlag, Foucaults Ansatz als Strategie der Selbstaufklärung zu begreifen. Die Methode der Genealogie ermögliche „das Infragestellen aller Gegebenheiten“ und damit eine Spielart der Kritik, die nicht notwendigerweise verneine, sondern für einen wachen Möglichkeitssinn plädiere. Der Kritiker solle sich für Foucault vom „Komplex von Handlungsgewohnheiten und Routinen“ verabschieden und das „unverzichtbare historische Element“ von Diskursformationen und unterschiedlichen Geltungsansprüchen herausstellen

Für Günter Figal (Freiburg) leistet Foucault mit seiner Neulektüre Kants einen „Beitrag zur gebrochenen Aufklärung“. Während bei Horkheimer/Adorno die moderne Herrschaftsrationalität nur in Katastrophik münde, sehe Foucault – als verkannter Jasager der Philosophiegeschichte – noch genügend Handlungsspielraum: „Für Foucault ist Kritik die Artikulationsform einer Vernunft, die sich gegen dogmatische Bevormundung wendet und selbst noch nicht mit Wahrheitsanspruch auftreten kann – also gleichsam ein Innehalten der machtförmigen Vernunft.“

Mit diesem Antifundamentalismus ist die Grundstimmung von Foucaults Spätwerk erfasst, in dem die Selbstsorge als existenzielles Rüstzeug skizziert wird. Judith Butler (Berkeley) entdeckt in Foucaults „Politik der Entunterwerfung“ ein Modell, das beschreibt, wie eine kritische Praxis ohne auferlegte Moral- und Identitätsbegriffe verlaufen könnte. Die Freiheit, sich selbst zu bilden und dabei auch bewusst Grenzen zu setzen, sei als eine „Selbst-Autorisierung“ zu sehen, wofür die philosophische Tradition die Bezeichnung „Tugend“ bereithalte.

Wozu also Philosophie? Die Antwort ist einfach: Um dieser Tugend zu genügen. Wenn Butler in ihrer psychologischen Interpretation Foucaults die „Schwebe des Zweifels“ lobt, kommt man nicht umhin, dies auch als Plädoyer für eine Kritik zu lesen, die Ambivalenzen aushält, statt sie zu verdammen.

Und so gerät dieses philosophische Seminar unter der Hand zu einem Postskriptum zur Walser-Debatte. Es war Foucault, der das Geschäft der Intellektuellen einmal folgendermaßen charakterisierte: „Die Kritik durch Richtspruch langweilt mich; ich möchte eine Kritik mit Funken der Fantasie. Sie wäre nicht souverän, noch in roter Robe. Sie wäre geladen mit den Blitzen aller Gewitter des Denkbaren.“

JAN ENGELMANN

„Deutsche Zeitschrift für Philosophie“, 50. Jahrgang, Heft 2, Akademie Verlag, Berlin 2002, 19,95 Euro

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