: Verdächtig sind alle
Die unionsregierten Bundesländer wollen mit einem neuen Gesetz den bisher geltenden Datenschutz auf den Kopf stellen: Die Polizei darf jederzeit auf alle Kommunikationsdaten zugreifen
von WOLFGANG GAST
Überwachung auf allen Ebenen: Der Bundesrat hat mit seiner unionsgeführten Mehrheit am 21. Juni einen Gesetzentwurf beschlossen, nach dem sowohl im Bereich der klassischen Telekommunikation (wie Festnetz, Handy, SMS und Fax) wie auch im Internet alle verfügbaren Daten „auf Vorrat“ gespeichert werden sollen. Nutznießer der „Entschließung zur verbesserten Bekämpfung der organisierten Kriminalität“ sind die Geheimdienste und die Ermittlungsbehörden, denen die gespeicherten Daten „für die Zwecke der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr“ zur Verfügung gestellt werden sollen.
Die von den Bundesländern Bayern und Thüringen angeschobene Gesetzesinitiative geht weit über alle bisherigen Pläne zur Überwachung der elektronischen Kommunikation hinaus. Einzelheiten wie etwa die Dauer der „Vorratshaltung“ werden dem Entwurf zufolge nicht einmal mehr auf gesetzlicher Ebene festgeschrieben, sondern von der Bundesregierung einfach durch Rechtsverordnung festgelegt. Schließlich will die Bundesratsmehrheit auch dafür sorgen, dass die Nutzung der Standorterkennung von Mobiltelefonen auch im Standby-Betrieb möglich wird.
Zur Zeit gilt noch das genaue Gegenteil. Daten, die nicht zur Abrechnung gebraucht werden, sind zu löschen. Nach den Vorstellungen des Bundesrates drohen nun nahezu unbeschränkte Zwangspeicherungen durch alle beteiligten Akteure. So hätte ein Webhosting-Provider zu speichern, wer seine Seiten besucht. Access-Provider müssten speichern, wann der Nutzer welche Inhalte abruft. Damit entstünde, warnt das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, ein komplettes Verzeichnis all dessen, wofür sich die Bürger im Netz interessieren, was sie online einkaufen, mit wem sie was chatten oder welche Informationsmedien sie bevorzugen. Staatlich angeordnete Nutzerprofile für jeden Internet-Nutzer fürchten die Datenschützer. Auch wenn diese nur „für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes, des Militärischen Abschirmdienstes und des Zollkriminalamtes“ zur Verfügung stehen sollten, sei offensichtlich, dass damit Begehrlichkeiten von Unberechtigten geweckt werden.
Festgeschrieben werden soll die Pflicht zur Vorratshaltung durch eine Ergänzung des Telekommunikationsgesetzes und des Teledienstedatenschutzgesetzes. Darin wird auch geregelt dass die Diensteanbieter die Verbindungsdaten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen zu haben.
Der Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur, wie vom Bundesrat gefordert, ist in Deutschland bisher ohne Beispiel. Allerdings steht die Initiative im internationalen und europäischen Kontext nicht alleine da. Schon im Jahr 2001 verabschiedete der Europarat eine so genannte Cyber-Crime Convention. In Artikel 20 findet sich dort eine Regelung, wonach Verbindungs- beziehungsweise Nutzungsdaten in Echtzeit auf Vorrat gespeichert werden sollen. Zwar hat diese Konvention, die auch von den USA und Japan unterzeichnet worden ist, keine bindende Wirkung für den deutschen Gesetzgeber. Aber sie steckt den Rahmen ab, den die Sicherheitsbehörden der Unterzeichnerstaaten sich wünschen.
Nach Ansicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) stehen die vom Bundesrat geforderten Regelungen im krassen Widerspruch zum Grundgesetz. Die Juristenorganisation befürchtet den „Big Brother im Internet“. Die Vorschläge reihten sich in die bedenkliche Folge von Gesetzesänderungen seit dem 11. September 2001 ein, die zu einer Erosion des Rechtsstaates führen. „Man stelle sich vor, die Deutsche Post AG würde verpflichtet werden, jeden Brief zu kopieren und zu dokumentieren, wer an wen wann und was geschrieben hat“, sagt Rechtsanwalt Ivo Geis, Mitglied des Informationsrechtsausschusses des DAV. Darüber hinaus sei fraglich, was die Behörden mit diesem „Datenwust“ überhaupt anfangen wollten. Daher sei die geplante Vorschrift nicht geeignet, für mehr Sicherheit zu sorgen, sondern allein dazu, die individuelle Freiheit und das Recht auf freie Kommunikation einzuschränken.
Die vorgesehenen Speicherpflichten bedeuten vor allem für Nutzer des Internets erhebliche Risiken. Bisher sollten die geltenden Datenschutzvorschriften sie davor schützen, dass ihr gesamtes Online-Verhalten transparent und nachvollziehbar ist. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es keinen etwas angeht, in welcher Reihenfolge sich jemand durch die Angebote von Online-Zeitschriften oder Versandhäuser klickt, wann er welche E-Mails schickt und so weiter. Die gesetzlichen Regelungen für den Bereich Internet sind gerade im vergangenen Jahr in leicht überarbeiteter Form vom Gesetzgeber bestätigt worden. Der Bundestag hielt damit erkennbar an der Grundidee fest, die Nutzer im Internet vor dem Missbrauch seiner Daten zu schützen. Schleswig-Holsteins Datenschützer Helmut Bäumler spricht daher von einem Einstieg in eine „neue Dimension der Überwachung“. Nun solle „dafür gesorgt werden, dass das Verhalten aller Bürger jederzeit nachvollziehbar aufgezeichnet wird“.
Bäumler hat deshalb die Kampagne „Rote Karte für Internetschnüffler“ gestartet. Sie will Bürger und Organisationen mit allen relevanten Informationen versorgen (www.datenschutzzentrum.de). Vom Gesetzentwurf, früheren Initiativen zur Vorratsspeicherung bis zum Kontext des internationalen und europäischen Rechts versammelt sie alle wichtigen Quellen und Stellungnahmen zur geplanten Vorratspeicherung.
Nachdem das Plenum des Bundesrates der Initiative zugestimmt hat, wird der Gesetzentwurf zunächst der Bundesregierung zur Stellungnahme zugeleitet. Zusammen mit dieser Stellungnahme muss der Entwurf nach sechs Wochen an den Bundestag überwiesen werden.
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