: Das überraschende Geständnis der Zeugin W.
Im Berliner RZ-Prozess bekennt sich eine 63-jährige Rentnerin zu den Knieschüssen auf den Leiter der Berliner Ausländerpolizei im Jahr 1986
BERLIN taz ■ „Ich habe die zwei Schüsse auf die Beine von Herrn Hollenberg abgegeben. Neben mir stand Rudolf Schindler, der die Aktion mit seiner Pistole abgesichert hat.“ Mit dieser sensationellen Aussage erschütterte gestern im Berliner Verfahren gegen die Revolutionären Zellen (RZ) die 63-jährige frühere Berliner Sozialarbeiterin und jetzige Rentnerin Barbara W. die Beschuldigungen des Kronzeugen Tarek Mousli.
Mousli hatte erklärt, die Schützin beim Knieschuss-Attentat am 28. Oktober 1986 auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg sei die deshalb angeklagte Sabine Eckle gewesen. Im Wesentlichen bestätigte Frau W. mit ihrer Aussage auch die Einlassung von Rudolf Schindler, der sich im Januar 2002 zu seiner Mitgliedschaft in den RZ und den Knieschüssen auf den Asylrichter Günter Korbmacher bekannt hatte. Damit stehen zwei Aussagen gegen die Ausagen des Kronzeugen.
Seit Mai 2001 wird vor dem Berliner Kammergericht gegen fünf Angeklagte wegen Mitgliedschaft in den RZ verhandelt. Neben den Knieschuss-Attentaten werden ihnen auch mehrere Sprengstoffanschläge vorgeworfen. Die Anklage beruht fast ausschließlich auf den Aussagen des ehemaligen RZ-Mitglieds Tarek Mousli. Dieser hatte sich – selbst schwer belastet – Ende 1999 der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge angeboten.
Die vom Anwalt des 59-jährigen Schindler, Hans-Wolfgang Euler, als Zeugin geladene Barbara W. sagte zu Beginn, dass sie sich sehr schwer getan habe, diese Aussage zu machen. „Aber ich kann es nicht ertragen, dass jemand anderes für eine Tat beschuldigt wird, die ich getan und zu verantworten habe.“ Ihre Aussage begrenzte sie aber ausdrücklich auf den Komplex Hollenberg. Zu über die konkreten Ereignisse der Tat hinausreichenden Sachverhalten machte sie von ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch. So beantwortete sie auch Fragen der Vorsitzenden Richterin Gisela Hennig nicht, ob sie zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in den RZ gewesen sei. Juristisch sind die Knieschüsse als Körperverletzung schon seit 1996 verjährt, selbst eine eventuelle Mitgliedschaft in den RZ ist normalerweise nach zehn Jahren verjährt.
Ausführlich schilderte Barbara W., die in Berlin in diversen Jugend- und Frauenprojekten gearbeitet hatte, den Ablauf des Attentats im Berliner Stadtteil Zehlendorf: von den Schießübungen in leeren Bunkern in der französischen Normandie, dem Auskundschaften der Gewohnheiten Hollenbergs bis hin zum Kauf einer Echthaarperücke.
Am Morgen der Tat habe sie sich am S-Bahnhof Zehlendorf mit Schindler getroffen. Von einem Unbekannten, zu dem sie nichts sagen wolle, wurden sie bis in die Nähe des Tatorts gefahren. Nachdem sie zuvor von Schindler die Pistole erhalten habe, „warteten wir gemeinsam ab, bis Hollenberg aus dem Haus kam“. Nach den Schüssen seien sie zum Fluchtwagen gerannt und hätten sich am S-Bahnhof Zehlendorf getrennt absetzen lassen. „Danach bin ich, wie jeden Morgen, ins Schwimmbad am Sachsendamm gefahren.“ Noch am Nachmittag trafen sie sich erneut in einer Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße mit Tarek Mousli, der parallel den Polizeifunk abgehört habe. „Mousli hat mich in den Arm genommen und zur Tat beglückwünscht.“ Deutlich betonte sie auch, dass „ich schießen wollte, weil in der Regel Frauen nicht so viel zugetraut wird, und ich wusste, dass ich das kann“. Hollenberg machte sie als Leiter der Ausländerpolizei „für die unmenschliche Flüchtlingspolitik in Berlin“ verantwortlich.
An ihre Aussage schloss sich eine akribische Befragung durch das Gericht und die Bundesanwaltschaft nach kriminalistischen Details an.
Zur Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugin meinte Anwalt Euler: „Warum sollte sich jemand freiwillig zu einer solchen Tat bekennen und in Gefahr begeben, doch noch verhaftet zu werden?“ Gegen die Zeugin läuft, wie im Gerichtssaal bekannt wurde, seit Januar 2001 ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der Frauenorganisation der RZ, der „Roten Zora“. Doch eine Frage des beisitzenden Richters Hanschke danach verneinte sie explizit. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Michael Bruns, wollte ebenso wie die anderen Verteidiger die Aussagen erst nach Ende der Zeugenaussage kommentieren. Bei Redaktionsschluss dauerte die Befragung von Barbara W. noch an.
CHRISTOPH VILLINGER
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