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Wo die Senatoren baumeln

Ferienzeit, Reisezeit: Jeden Sommer quälen uns die Nachrichtenagenturen mit den Urlaubsplänen des Regierenden und seiner Senatoren – und dem abgedroschensten aller Klassiker-Zitate

von ROBIN ALEXANDER

Für Millionen Leser in ganz Deutschland liefern sie die Fakten. Aus dem, was sie rapportieren, werden – unter fremdem Namen – Meldungen, Berichte und Kommentare gebastelt. Auch für Kollegen von Zeitungen, bei denen selbst recherchiert wird, sind sie geschätze Quellen: Agenturjournalisten sind die unauffälligsten Arbeiter im Weinberg des Journalismus. Aber einmal im Jahr nehmen sie grausam Rache. Jetzt ist es wieder so weit: Es ist Ferienzeit und die Nachrichtenagenturen informieren uns gnadenlos – über die Urlaubspläne der Politiker.

Will irgendjemand wirklich wissen, wohin der Innensenator verreist? Dpa deckt schonungslos auf: „Auch bei Innensenator Erhart Körting (SPD) ist alles ‚paletti‘. Für drei Wochen genießt er mit ‚Kind und Kegel‘ die Nordsee-Frische ‚in der Gegend um Husum‘ – bereits seit 17 Jahren. Radfahren, Wandern und Schmöckern ist angesagt. Mit von der Partie ist das vierbeinige Familienmitglied – ein Golden Retriever.“ Hat das wirklich Nachrichtenwert? Ja, denn es kommt über Ticker. Und nicht nur einmal. In der vergangen Woche lernten wir, dass der Hund des Bildungssenators „Tobi“ heißt, der Innensenator in Husum (s. o.) Theodor Storm liest und Thomas Flierl als Ausgleich zum stressigen Kultursenatorjob „an der Ostseeküste Rasen mähnt und Schuppen abreißt“.

Überflüssige Informationen? Widersprüchliche dazu! So behauptet ddp, Gregor Gysi lese in den Ferien „Krimis“. Dpa hingegen unterstellt dem Dialektiker die Lektüre des „neuen Buches von Monika Maron und griechische Sagen“. Präzision – sonst der zweite Vorname jedes guten Agenturjournalisten – bleibt beim Ferieninfoterror auf der Strecke. Die Quälerei hat rituelle Züge: Immer ist der Urlaub „wohlverdient“, immer auch muss leider die „eine oder andere Akte in den Koffer“. Und nie – wirklich nie – geht es ohne das abgedroschenste aller Klassikerzitate: IM URLAUB DIE SEELE BAUMELN LASSEN. Das stammt ursprünglich von Kurt Tucholsky und man fragt sich, warum sich deutsche Gerichte mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ befassen, solange der hemmunglose Gebrauch baumelnder Seelen straffrei bleibt.

An dieser Stelle wollen, nein, müssen wir Klaus Wowereit loben. Der Regierende Bürgermeister erklärte allen Agenturen gleichlautend, wohin „und mit wem“ er verreise gehe niemanden etwas an. Bravo!

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