: Betreuter Ausnahmezustand
Friedensmission mit Gunter Gabriel, amerikanischem Supermarkt und Lagerfriseur: „Soldatenglück und Gottes Segen“ von Ulrike Franke und Michael Loeken ist der erste abendfüllende Dokumentarfilm über einen Auslandseinsatz deutscher Soldaten
von JAN DISTELMEYER
Der Zeitpunkt könnte günstiger kaum sein. Während der „Krieg gegen den Terror“ noch im Gange ist und es jetzt auch gegen Hochzeitsgesellschaften geht, bekommen wir derzeit mehr Kinobilder vom Krieg zu sehen (gerade kämpft Mel Gibson in Vietnam) als TV-Dokumente aus Afghanistan.
Gleichzeitig dürfen wir Zeuge werden, wie die Verlängerung der internationalen Bosnien-Mission ins Wanken gerät, weil die USA den Weltstrafgerichtshof aus Angst um die Rechte ihrer GIs im Einsatz blockieren. Was also passt besser in diese Nachrichten- und Bilderlage als ein Dokumentarfilm, der laut Verleih „über das Leben im Einsatz“ berichtet, über „Soldaten im Ausnahmezustand und über das Wagnis Auslandseinsatz“?
Ulrike Franke und Michael Loeken haben über mehrere Monate im Jahr 2001 die internationalen KFOR-Truppen im Kosovo besucht und dabei ihren Schwerpunkt auf die Deutschen in Prizren gelegt. „Soldatenglück und Gottes Segen“ ist damit die erste abendfüllende Kinodokumentation über den Auslandseinsatz deutscher Soldaten. Allein das Thema verspricht eine Menge und stellt Fragen der Erwartung, wie sich Ulrike Franke und Michael Loeken ihrem Gegenstand nähern werden. Welches „Leben im Einsatz“ werden wir zu sehen bekommen, welcher „Ausnahmezustand“ ist gemeint?
Ausnahmezustand Nummer 1 präsentiert uns Gunter Gabriel. Fremd, aber locker steht er inmitten der Offiziere beim Heeresführungskommando Koblenz. Singen wird er nicht, das hat er schon getan: im Kosovo und in Bosnien, weshalb ihm nun – „Sie sind einer der wenigen, die uns helfen, den Leuten im Kosovo und in Bosnien, äh, die Aufgabe zu erleichtern“ – Ehrung und Dank zuteil werden. „Ja, das verstehe ich auch als meine Aufgabe“, sagt er, woraufhin ein Oberst ergänzt, es sei hart für die jungen Soldaten, einfach so für „sechs Monate aus dem Leben heraus“ zu müssen. Nur sei das „natürlich nicht zu vergleichen mit unseren Vätern in Stalingrad“.
Gunter Gabriel wird uns noch öfter begegnen. Er ist als „Star“ der Truppenbetreuung eine Art roter Faden der Dokumentation, womit jedoch nicht gesagt ist, das eigentliche Interesse des Films liege in der Frage der Unterhaltung der Soldaten. Das Problem von „Soldatenglück und Gottes Segen“ ist vielmehr, dass so gut wie gar kein Interesse sichtbar wird. Es scheint, als arbeite sich die Kamera an einer Sehenswürdigkeiten-Liste ab, die von irgendeinem militärischen Vergnügungswart vor Ort aufgestellt worden ist. Also, was haben wir da: Klar, das Soldatenradio Andernach ist ein Muss, dann noch ein kurzer Besuch beim Lagerfriseur (ist nämlich ein Einheimischer), vielleicht noch einen Morgenappell mit Postausgabe und Beförderung. Dann noch mal rüber zu den Amis, vielleicht mal mit auf Streife gehen, Kaugummi verteilen, ach ja, und unbedingt in deren „Camp Bondsteel“ – da haben die einen riesigen Supermarkt und zudem die beste Kantine weit und breit.
Die Interviews, die von der Kamera auf ihrem Weg entlang der unsichtbaren Marschroute eingefangen werden, sprechen die gleiche Sprache. Immer wieder wird Vorformuliertes vorgetragen und derartige Langeweile reproduziert, dass der finale Auftritt von Gunter Gabriel in der „Betreuungseinrichtung“ („Hey, sag doch gleich Kneipe!“) auch für uns zu dem Höhepunkt wird. Für die grölenden Bundeswehrsoldaten ist er das allemal. Diesen „Ausnahmezustand“ zumindest – sich vor lauter Tristesse sogar irgendwie auf Gunter Gabriel zu freuen – können wir dank „Soldatenglück und Gottes Segen“ hautnah spüren. Die Quittung kommt zur Musik von „House of the Rising Sun“: „Da steht ein Haus im Kosovo, das ist zerbombt und leer. Doch die Jungs aus good old Germany, die stellen das Haus wieder her.“
„Soldatenglück und Gottes Segen“. Regie: Ulrike Franke und Michael Loeken. D 2002, 90 Minuten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen