: Schnüffeln unter der Bettdecke
Österreichs Konservative wollen den gestrichenen Unzuchtsparagraphen retten
WIEN taz ■ „Eine Person männlichen Geschlechts, die nach der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mit einer jugendlichen Person gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Diese Bestimmung aus der Zeit, als die Keuschheitskommissionen Maria Theresias (1740–1780) unter die Bettdecken der Untertanen zu blicken hatten, rettete sich in Gestalt des Paragraphen 209 bis in die Strafrechtsreform von 1975. Ende Juni wurde der Paragraph vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.
Die Argumentation: Eine Liebesbeziehung zwischen einem 15-Jährigen und einem 17-Jährigen wäre, da beide minderjährig, erlaubt. Dieselbe Beziehung würde aber kriminell, sobald der Ältere das 19. Lebensjahr vollendet. Dies widerspreche der Verfassung. Schon mehrmals hatten SPÖ und Grüne versucht, dieses Relikt aus anderen Zeiten aus dem Strafgesetz zu tilgen. Das Schutzalter für Jungen solle dem der Mädchen, nämlich 14 Jahre, egal ob homo oder hetero, angeglichen werden. Jedesmal scheiterte die Reform an der ÖVP.
Die beste Lösung, dem Spruch des Höchsten Gerichts zu folgen und den Unzuchtparagraphen ersatzlos zu streichen, fand in der ÖVP einige Fürsprecher. Schließlich wurde Österreich vom EU-Parlament schon sechsmal dazu aufgefordert. Doch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel machte sich dafür stark, möglichst schnell ein verfassungskonformes Substitut für den Kampf wider die gleichgeschlechtliche Unzucht zu schaffen. Binnen wenigen Tagen präsentierte die ÖVP ein Projekt, wonach Sex mit Jugendlichen unter 16 mit Haft zu bestrafen sei, sofern dabei „Penetration mit Gegenständen oder Analverkehr“ praktiziert werde.
Neben der Umsetzung einer EU-Richtlinie, die entgeltlichen Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen (unter 18) unter Strafe stellt, machen die Tugendwächter der ÖVP weitere Fleißaufgaben. Obwohl mehr als ein Dutzend bereits bestehende Bestimmungen jede Art von Missbrauch von Autorität oder Zwangslage unter Strafe stellen, wird als neues Element die „mangelnde Reife“ von Jugendlichen unter 16 eingeführt. Für Experten eine Gummibestimmung, die erlaube, dass Eltern gegen missliebige Partner ihrer Sprößlinge gerichtlich vorgehen. Ein entsprechendes Gesetz will die ÖVP noch vor der Sommerpause durchs Parlament boxen. RALF LEONHARD
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