Flache Hierarchien

Konjunkturflaute oder Strukturwandel? Die Buchbranche befindet sich in der Krise – doch der Online-Handel boomt

Jetzt ist es amtlich: Der Buchhandel steckt tief in der Krise. Zum ersten Mal seit 25 Jahren stagnieren die Umsätze, wie der Börsenverein des deutschen Buchhandels gestern mitteilte. Diese Mitteilung ist nur die Bestätigung dafür, dass der Markt längst aus dem Gleichgewicht geraten ist: In den letzten Wochen hatte die Buchhandelskette Hugendubel auf Kurzarbeit umgestellt, kleinere Geschäfte mussten schließen, Verlagskonzerne sorgen sich um ihre Bilanzen.

Nach Gründen wird noch gesucht. Man darf vermuten, dass sich die allgemeine Konjunkturflaute und die Teuro-Debatte auf den Buchhandel ausgewirkt haben. Auch scheint in den größeren Städten der Expansionskurs von Hugendubel oder Thalia zu einem Überangebot geführt zu haben. Bei diesen Überlegungen wird allerdings außer Acht gelassen, dass vereinzelte Krisenphänome bereits seit Mitte der Neunzigerjahre wahrgenommen wurden.

In dieser Zeit – und darin darf man den eigentlichen Hintergrund der Krise vermuten – hat sich der Wertekonsens rund um das Kulturgut Buch endgültig aufgelöst.

Sieht man sich aktuelle Bestsellerlisten an, wird man feststellen, dass die Grenzen zwischen vermeintlich schlecht verkäuflicher „anspruchsvoller Literatur“ und belletristischer „Massenware“ längst gefallen sind: Henning Mankells Krimis besetzen mit Jonathan Franzens Gesellschaftsroman „Die Korrekturen“ und dem Titel „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ die Spitzenposition. Und Walsers „Tod eines Kritikers“ verkauft sich so gut wie ein besserer Sex-Ratgeber.

Zugleich hat sich das Verhältnis von Hardcover und Paperback verändert. Früher galt es, ein hoffnungsvolles Debüt genau wie das Werk eines Großschriftstellers sorgsam gebunden anzubieten. In den Verlagsprogrammen der letzten Jahre und den Zahlen des Börsenvereins ist jedoch deutlich zu erkennen, dass der Anteil der ernst zu nehmenden Belletristik-Neuerscheinungen im Taschenbuchformat stark angestiegen ist.

Kein Wunder, dass der Internet-Buchhandel die Branchenkrise nicht spürte, sondern seine Umsätze um 50 Prozent steigern konnte. Amazon oder BOL haben keine Probleme mit überkommenen Hierarchien: Paperback, Hardcover und DVD, Verona Feldbusch, Günter Grass und Michel Houellebecq trennt nur ein Mausclick. Und egal ob man bibliophiler Bildungsbürger oder Erstkonsument ist: Hat man sich erst einmal registriert, wird man bei Aufruf der Websites persönlich begrüßt.

So wird der Konkurrenzkampf der Branche zuletzt zwischen den Online-Buchhändlern und den Buchkaufhäusern entschieden werden, in denen man weniger konsequent an einer ähnlichen Enthierarchisierung der Produktpalette arbeitet. Für den mittelständischen Buchhandel allerdings könnte der Strukturwandel zur Chance werden, wenn er sich stärker um seine Selbstdarstellung bemühen würde. Jeder Strukturwandel birgt schließlich nostalgisches Potenzial – und altmodische Buchhandlungen mit verkramten Regalen und eigenwilligem Personal haben spätestens seit Filmen wie „Notting Hill“ und „Email für Dich“ einen gewissen Sexappeal.

KOLJA MENSING