: Die Unberührten
Wie müssen Bilder vom Krieg aussehen, damit man das Wesen des Krieges begreift? In „War Photographer“ porträtiert der Schweizer Filmemacher Christian Frei James Nachtwey, der seit über 20 Jahren in Kriegs- und Krisengebieten Fotos schießt
von ANNETTE WEBER
Kriegsberichterstatter, Kriegsfotografen: Das sind die Leute – meist Männer –, die ihre Kicks nicht ohne Blut, Leiden, Angst und Wahnsinn kriegen. Das sind die, die immer darauf warten, dass etwas passiert, dass das, was Krieg heißt, durch Leichen, Schießende und Trauernde dargestellt werden kann. Die mit dem Objektiv draufhalten, wenn jemand von einem Mob zu Tode getreten wird, die keine Meinung haben und kein Wissen brauchen. Wozu auch? Krieg ist überall ähnlich. Wichtig ist, dass ab und zu die Hautfarben der Täter und Opfer wechseln.
Das sind Männer, die abends mit ihrem Hart-Alk und mit den Soldaten (manchmal), mit den Prostituierten (oft) und den Kollegen (selten) sitzen und weinen, weil sie so gerührt sind. Vor allem über sich selbst und die Härte, die Unzivilisiertheit, der sie am Tage aufgelauert haben.
Das sind die Leute, die am liebsten dokumentarischen Anteil an Vergewaltigungen nähmen – einfach um einmal ganz nah, ganz authentisch den Schmerz, das Leiden, die Entwürdigung eines Opfers aufnehmen zu können. Wenn man sie fragt, warum sie das machen, sagen sie oft: Damit die Welt sieht, was hier passiert. Nur selten sagen sie, dass sie diesen Kick, das Adrenalin, das Endorphin brauchen. Dass sie selbst der Herkunftszivilisation entfremdet sind, dass sie sich mit andern Leuten gar nicht mehr unterhalten können und wollen. Dass sie das brauchen, das Überleben. Das geht am effektivsten, wenn um einen herum die anderen sterben.
Gerne würde ich sagen: So aber ist James Nachtwey nicht. Nein, James Nachtwey, der ruhige, überlegte, bedachte Kriegsfotograf, die zentrale Figur in Christian Freis Dokumentation „War Photographer“ ist nicht so. Er ist politisch, analytisch und höflich. Nachtwey lernt zumindest die Begrüßung in der jeweilig kriegsrelevanten Landessprache. Er bleibt bei den Leuten, die er auf seinen Film bannt, und übergibt sie nicht unbedingt ihrem Schicksal. Er bringt sich ein und versucht, Leben zu retten. Er ist überzeugt, dass die Ungleichheit der Welt zu all den Kriegen führt und dass, wenn jeder Mensch einmal im Leben einen Krieg aus der Nähe gesehen hätte, die Zeit der Kriege vorbei wäre. Doch das Schweigen, das Warten, das endlose Wiederholen, dieser repetitive Wahnsinn von Anstacheln, Abschlachten und Betrauern – das stellt auch James Nachtwey nicht dar.
Natürlich auch wegen der Nachfrage des Marktes. Dieser Markt, der so tut, als ob wir alle Toten sehen müssten, um Krieg zu verstehen. Nachtwey ist Profi als Fotograf, nicht Kriegsprofi. Das genau ist seine Rettung. Der Bezug zur Kamera, das Auswählen der Objektive, des Films, das Reinigen der Linse. Das Betrachten und Auswählen der Kontaktabzüge scheint es zu sein, was ihm seine persönliche Bibliothek des Leidens – wie es Christiane Breustedt, seine ehemalige Partnerin und jetzige Chefredakteurin bei Geo Saison nennt – überhaupt verarbeitbar, lebbar macht.
Dass dieser Mann allerdings außer sich und dem Leiden und der Kamera noch irgendwelche Menschen aus der anderen Welt, aus der Welt der Nichtkriege, der Belanglosigkeiten, der anderen Formen von Kaputtheit ertragen könnte, das macht der Film von Christian Frei nahezu unmöglich zu glauben.
Was Nachtwey von Leuten wie Christine Amanpour, der Chefkorrespondentin von CNN, Des Wright, dem Kameramann von Reuters, Hans-Hermann Klare, dem Ressortleiter Ausland des Stern, unterscheidet: dass er den alltäglichen Niederungen enthoben ist, das macht ihn im Grunde auch so unerträglich, so über- und unwirklich. Wo bei den Kollegen die Arroganz, die Selbstüberschätzung, die Menschlichkeit und die schnelle Gereiztheit dazu führen, dass das, was man erlebt im Geschäft des Darstellens des Krieges, auch vor Ort zurückgelassen werden kann, herrscht bei Nachtwey das perfektionistisch Abgeschlossene. Dadurch ist er selbst zu einer dieser unauffälligen Unerträglichkeiten der Kriege geworden.
„War Photographer“. Regie: Christian Frei. Mit James Nachtwey, Christine Amanpour u. a. Schweiz 2001, 96 Min.
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