Weniger Weizen, mehr Wiese

Die Brüsseler EU-Kommission will die Überproduktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen stoppen und stattdessen mehr für die Umwelt tun

aus Brüssel BARBARA SCHÄDER

Als „gründliches Lifting“ präsentierte EU-Agrarkommissar Franz Fischler gestern seine Vorschläge zur Agrarreform. Tatsächlich sind es mehr als ein paar Tupfer Rouge, die er für die Landwirtschaftspolitik vorgesehen hat: Statt für die Produktion von Fleischbergen und Milchseen sollen Europas Bauern künftig verstärkt für Landschaftspflege und Naturschutz subventioniert werden. Das heißt: Beihilfen werden mit wenigen Ausnahmen nicht mehr nach Produktionsmenge oder Anbaufläche gezahlt, sondern als eine Art Bauerngehalt. Selbst ein Landwirt, der gar nichts produziert, könnte seine Subventionen als Landschaftspfleger verdienen.

Die Zahlungen sollen an bestimmte Auflagen bezüglich Umweltschutz, Tierhaltung, Lebensmittelsicherheit und Beschäftigung geknüpft werden, die die Kommission bis zum Herbst ausarbeiten will. Zur Kontrolle schlägt sie Auditierungsverfahren für alle Höfe vor, die mehr als 5.000 Euro bekommen. Berechnet werden die Beihilfen für jeden Betrieb auf der Grundlage der bisher gezahlten Summen. „Eine Zementierung der bestehenden Ungerechtigkeiten“, meinte dazu kritisch der Europa-Abgeordnete Willi Görlach (SPD).

Kommissar Fischler plant aber durchaus eine Umverteilung der Subventionen – sozusagen auf einem Schleichweg: Ab 2004 will er allen Bauern die Direktbeihilfen um 3 Prozent jährlich kürzen, bis zu einem Maximum von 20 Prozent. Das eingesparte Geld soll unter den Mitgliedsstaaten neu verteilt werden, und zwar nach den Kriterien Anbaufläche, Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft und Wohlstand. Am meisten sollen ärmere Gegenden mit einer arbeitsintensiven, also extensiven Landwirtschaft davon profitieren. Deutschland mit seiner größtenteils intensiven Vieh- und Getreideproduktion muss hingegen mit Einbußen rechnen.

Insgesamt könnten der Bundesrepublik Berechnungen zufolge rund 560 Millionen Euro jährlich an Einkommensbeihilfen verloren gehen. Denn Fischler setzt ein weiteres Signal: Künftig soll kein Bauer mehr als 300.000 Euro im Jahr an Beihilfen erhalten. Davon wären vor allem Großbetriebe in Ostdeutschland betroffen, die aus ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften hervorgegangen sind. Der sächsische Europaabgeordnete Lutz Goepel (CDU) befürchtet den Verlust von 40.000 Arbeitsplätzen.

Allerdings sind für Arbeitskräfte weitere Beihilfen vorgesehen: 5.000 Euro für die ersten beiden und 3.000 Euro für jeden weiteren Beschäftigten. Außerdem will Fischler allen Bauern für die Umstellung auf die noch zu definierenden Umweltstandards eine Art Startgeld von 200 Euro pro Jahr und Hektar zahlen, das dann allmählich auslaufen soll.

Abgesehen davon bleibt das Geld, das den Großbetrieben gekürzt wird, in Deutschland. Es soll nach Fischlers Willen in nationale Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums fließen, für die sich im Prinzip alle Höfe bewerben können.

Das bedeutet allerdings auch: Die Reform ist nahezu kostenneutral. Die EU- Agrarausgaben von derzeit rund 41 Milliarden Euro jährlich würden nach Angaben der Kommission nur um etwa 200 Millionen Euro sinken. Das ärgert die Bundesregierung, die seit Wochen laut auf Einsparungen pocht. Ihr Argument: Mit der Erweiterung im Jahr 2004 wächst die EU um weitere zehn Mitgliedsstaaten. Da die Kommission auch den Bauern in den Beitrittsländern Subventionen zahlen will, werde der Agrarhaushalt spätestens 2013 explodieren, wenn die osteuropäischen Landwirte den vollen Beihilfesatz erhalten sollen.

„Diese Argumentation ist unfair“, sagt die grüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter. Richtig sei zwar, eine Reform zu fordern – aber die müsse vor 2013 auf jeden Fall erfolgen, wegen der WTO-Verhandlungen. „Die Beitrittsländer als Buhmänner für die Reform hinzustellen, hat fatale Folgen.“ Das merke sie in Gesprächen mit deutschen Bauern, die Abneigung gegen die Erweiterung nehme zu.

Dabei sei es völlig klar, dass die Bauern in den neuen Mitgliedsstaaten auch 2013 nicht die gleichen Beihilfen erhalten würden wie die EU-Landwirte heute – weil es das jetzige Beihilfesystem dann nicht mehr geben werde. Tatsächlich würde schon eine Umsetzung der aktuellen Reformvorschläge bedeuten, dass die Direktbeihilfen in den alten Mitgliedsstaaten bis 2011 auf 80 Prozent des bisherigen Satzes sinken.

Ob es dazu kommt, ist allerdings ungewiss: Während den Deutschen die Reform nicht weit genug geht, ist Frankreich gegen jegliche Veränderung des Status quo. Eine Mehrheit im EU-Parlament und im Ministerrat ist den Fischler-Vorschlägen also noch nicht sicher.