: Künast in der Klemme
EU-Kommission legt Agrarreform vor und will Subventionen deckeln. Verbraucherministerin Künast lobt Weichenstellung, will aber Arbeitsplätze in der Agrarindustrie nicht antasten lassen
BERLIN rtr/taz ■ Lob von der Industrie und von Umweltschützern, Kritik von Agrarpolitikern aus fast allen Parteien – das sind die ersten Reaktionen auf die Pläne der EU-Kommission zur Reform der Agrarpolitik der Union.
Den gestern verabschiedeten Vorschlägen zufolge soll kein Betrieb mehr als 300.000 Euro Direktbeihilfe erhalten. Die Subventionen sollen von der Produktion abgekoppelt und an andere Faktoren wie den Umweltschutz gebunden werden. Diese Beihilfen sollen außerdem etwa 6 bis 7 Jahre lang jährlich um 3 Prozent sinken. Das so frei werdende Geld könnte laut Brüssel für die Entwicklung strukturschwacher Regionen genutzt werden.
Die Landwirtschaftsministerin Renate Künast bezeichnete die Vorschläge gestern als „Weichen für eine neue europäische Agrarpolitik“. Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz würden nun endlich berücksichtigt. Zugleich vertrat Künast die Ansicht, dass die Agrarreform den Betrieben in den neuen Bundesländern nicht schaden dürfe. Berechnungen zufolge könnte die vorgeschlagene Fördergrenze von 300.000 Euro für die 1.300 Landwirtschaftsbetriebe Ostdeutschlands ein Minus von 250 Millionen Euro pro Jahr bedeuten.
Der Landwirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns, Till Backhaus (SPD), forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, eine Verabschiedung der Reform durch den EU-Ministerrat zu verhindern. Andernfalls würde „der einzige Wirtschaftszweig in den neuen Bundesländern, der einigermaßen rund läuft, ans Messer geliefert“. Die Obergrenze wurde erwartungegemäß auch vom deutschen Bauernverband kritisiert.
Unzufrieden ist man in der Bundesregierung aber auch mit der mangelnden Reduzierung des EU-Agrarbudgets von 40 Milliarden Euro jährlich. Die Vorschläge ermöglichen nur Einsparungen von rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Allerdings sind der Kommission hier die Hände gebunden, denn die Höhe der Agrarausgaben ist in der bis 2006 geltenden „Agenda 2000“ festgelegt. Darauf verwiesen dann auch vor allem Politiker der CDU/CSU: Die Bauern hätten sich auf bestimmte Subventionen eingestellt, sie brauchten Planungssicherheit. Begrüßt wurden die Brüsseler Pläne vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): „An einer stärkeren Marktorientierung führt kein Weg vorbei“, hieß es in einer Erklärung. Der Naturschutzverband Nabu bezeichnete die Brüsseler Vorschläge als riesige Chance für eine naturverträgliche Landwirtschaft. Es sei der Abschied von einer 45 Jahre alten EU-Agrarpolitik.
Bereits am kommenden Montag werden die Landwirtschaftsminister der EU über die Vorschläge der Kommission beraten. Starker Widerstand gegen die Kürzung von Subventionen wird vor allem aus Frankreich, dem größten Nutznießer der derzeitigen Politik, erwartet. HER
brennpunkt SEITE 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen