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Auf Probefahrt für einen Job

Weil BMW will, dass „die Mitarbeiter organisch hineinwachsen“, werden sie erst nach Bayern verpflanzt

aus LeipzigBARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

So was Dummes aber auch. Noch sechs Monate bis zur Markteinführung des neuen Modells und dann das. Eine Landesregierung möchte schon vorher einen der neuen Wagen als gepanzertes Sicherheitsfahrzeug. Christian Beutmann, 42-jähriger erfahrener Diplombetriebswirt, Isa Zirnstein, 24-jährige frisch diplomierte Verkehrswirtschaftlerin, und zwölf Kollegen hatten nie zuvor mit so einem Anliegen zu tun. Sie wissen: Erfüllen sie den Wunsch, könnte sich die Entwicklung anderer Automodelle verzögern. Lehnen sie ab, könnten sie einen Kunden verlieren. Sie haben 45 Minuten Zeit, um dem Vorstand ein Konzept zu erstellen. „Ja, prinzipiell ist es machbar“, meint am Ende Christian Beutmann. „Unter Einschränkungen machbar“, lautet Isa Zirnsteins Fazit. Beide wissen nicht, ob die Entscheidung richtig ist. „Am Ende lacht sich der Vorstand vielleicht tot“, sagt Beutmann und guckt etwas unsicher.

Nein, gelacht hat niemand. Denn die Regierungsanfrage und das neue Automodell sind nur Fiktion. Real hingegen ist die Unsicherheit von Beutmann und Zirnstein. Das fiktive Konzept für den fiktiven Vorstand eines fiktiven Autoherstellers ist Teil eines Bewerbungsmarathons, mit dem der Autohersteller BMW Personal für sein neues Werk in Leipzig rekrutiert, das erst im Jahr 2005 seine Produktion aufnehmen wird.

BMW. Diese drei Buchstaben stehen in Leipzig für viele Hoffnungen, seit das Unternehmen am 18. Juli vergangenen Jahres bekannt gab, sein neues Werk in der Stadt zu bauen. Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) unterbrach damals seinen Italienurlaub und lud zum Freibier ins Rathaus. Wirtschaftsdezernent Detlef Schubert (CDU) schickte in der Thomaskirche ein Dankgebet gen Himmel und erklärte: „Die Stadt freut sich, die Bürger freuen sich, alle sind glücklich und sagen Danke schön.“ Der Leipziger Schriftsteller Erich Loest sprach vom „wichtigsten Ereignis seit der Wende“, und Bild titelte in der Leipziger Ausgabe: „Wir sind wieder wer.“

Der Leipziger Region geht es zwar besser als vielen Städten in Ostdeutschland, aber mit 19 Prozent Arbeitslosigkeit noch schlecht genug, dass die von BMW versprochenen 5.500 Arbeitsplätze einen Ansturm auslösten. Darauf war das Münchner Call Center von BMW nicht eingestellt, die Leitungen brachen zusammen. Ein Jahr nach der Entscheidung hat sich die Lage beruhigt, aber die Hoffnungen sind ungebrochen, noch immer laufen jeden Monat mehre 100 Bewerbungen ein. Bisher hat der Autokonzern etwa 300 Meister, Ingenieure, Angestellte und Lehrlinge eingestellt, bis Jahresende sollen es 500 sein. Die Rekrutierung der Produktionsarbeiter wird nächstes Jahr beginnen .

„Herzlich willkommen zum Personalentwicklungstag bei BMW“, steht auf einem handgeschriebenen Schild im Erdgeschoss eines Bürogebäudes im Leipziger Nordosten, in dem der Autokonzern einige Räume bezogen hat. 14 Bewerberinnen und Bewerber nehmen an dem Test teil. Außenstehende dürfen bei den Vorstellungsrunden nicht dabei sein. BMW will auch nicht, dass die Bewerber allein mit Journalisten reden. Dafür hat Hubert Bergmann, BMW-Pressesprecher, eine Auswahl getroffen. Christian Beutmann und Isa Zirnstein. Der Pressesprecher glaubt, dass die beiden „einen guten Querschnitt“ der über 40.000 Bewerber und den angestrebten „Aufbau einer harmonischen Altersstruktur“ repräsentieren.

Die Bewerber sollen in Einzel- und Gruppengesprächen Vertreter verschiedener Fachbereiche und der Personalabteilung von sich überzeugen. Dabei geht es darum, sagt Pressesprecher Bergmann mit seinem leichten schwäbischen Akzent, „gegenseitig zu prüfen, ob wir zueinander passen“. Der Soziologe betont das Wort „gegenseitig“. Er sagt: „Wir wollen Menschen, die glauben, sie passen zu uns und die ticken wie wir.“ Dazu gehört auch, dass die Bewerber „keine Extreme“ aufweisen. „Wir wollen weder Rechts- noch Linkslastigkeit.

Als Christian Beutmann am Morgen vor dem Kleiderschrank stand, war er unschlüssig. „Hole ich doch den dunklen Anzug raus?“ Schließlich entschied er sich für eine dunkle Hose, ein graues Jacket mit dezenten Streifen, ein weißes Hemd und eine zurückhaltend gemusterte Krawatte. Bereut hat er die Kleiderwahl nicht. Überrascht ist er nur über das Alter seiner Mitbewerber. „Die vielen jungen Leute sind ein Risiko für mich“, befürchtet er. „Ich bin mit meinen 42 Jahren nicht mehr der Jüngste.“ Deshalb setzt er auf seine Berufserfahrungen. „Ich bin seit über 20 Jahren dabei.“   In der DDR hat der Speditionskaufmann bei nationalen und internationeln Speditionen und Logistikunternehmen gearbeitet. Nach der Wende ging er für fünf Jahre nach Koblenz und 1993 kehrte er mit Frau und Kindern in seine Geburtsstadt Leipzig zurück. Seitdem war er in mittelständischen Unternehmen tätig und hat Niederlassungen internationaler Speditionen aufgebaut.

Beutmann findet es „spannend“, nach so vielen Jahren auf der Seite der Dienstleister auf die Seite der Produzenten zu wechseln. Er hofft, dass ihm auch die Managementseminare zugute kommen, bei denen er Präsentation und Kommunikation gelernt hat. Denn er meint zu wissen, was Unternehmen wie BMW erwarten: „Offene und kommunikative Menschen.“ Deshalb lautet sein Motto: „Man muss an sein eigenes Selbstbewusstsein appellieren.“

Der Pressesprecher nickt wohlwollend. Dass Beutmann das Wort selbstbewusst etwas zu oft verwendet, scheint ihn nicht zu stören. Mit einem leichten Schmunzeln vernimmt er die „wichtige Erkenntnis“ des Bewerbers Beutmann im Westen: „Dort wird auch nur mit Wasser gekocht.“

Isa Zirnstein wirkt unbefangen. Für die 24-Jährige ist es die erste Bewerbung ihres Lebens. „Ich weiß noch nicht, wie es ist, einen Job nicht zu bekommen“, sagt sie. Im August vergangenen Jahres hat sie in Dresden ihr Verkehrswirtschaftsstudium beendet. Als sie von der Standortentscheidung für Leipzig hörte, fand sie das „super für die Region“. Aber an eine Bewerbung dachte sie nicht, weil sie gerade ihre Diplomarbeit zu Ende schrieb. Im März hat sie sich dann beworben – auf eine Stelle als Logistikplanerin.

Die junge Frau empfindet es als Nachteil, noch keine Berufserfahrung zu haben. Sie versucht das mit einem Satz wettzumachen, den BMW gerne hören wird. „Wenn man frisch aus der Ausbildung kommt, ist man formbar und lernwillig.“ Für die Vorstellungsgespräche hat sich Isa Zirnstein vorgenommen: „Ich selbst sein.“ Die Kleiderfrage hatte sie lange vor dem Termin entschieden. „Ich wollte seriös aussehen, einem solchen Gespräch angemessen, aber auch nicht overdressed.“ Sie kaufte sich eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover und zog dazu ein helles Jacket und schwarze Lackschuhe an.

Anfangs brach bei BMW die Hotline zusammen, jetzt gibt es noch immer hunderte Bewerbungen

Ob Beutmann oder Zirnstein, die Bewerber müssen nicht nur BMW von sich und ihren Fähigkeiten überzeugen. Sie müssen auch flexibel sein. BMW setzt bei allen die Bereitschaft voraus, für einige Jahre zur Einarbeitung nach Regensburg, Dingolfing oder München zu gehen. „Die Mitarbeiter sollen organisch hineinwachsen“, nennt das Pressesprecher Bergmann: „Räumliche Flexibilität ist auch geistige Flexibilität.“ Ein Jahr bevor im Leipziger Werk Autos vom Band rollen, sollen die in Bayern geschulten Mitarbeiter dort anfangen.

Christian Beutmann, dessen Familie an solche Trennungen gewöhnt ist, wie er sagt, hält diese Einarbeitung für „unabdingbar“. „Wenn BMW schon seit einem Jahr in Leipzig wäre, wüsste ich nicht, ob ich mich trauen würde, ins kalte Wasser zu springen.“ Isa Zirnstein versichert, dass ihr ein zeitlich begrenzter Umzug nach Bayern „sehr entgegenkomme“. „Ich habe viele Freunde dort.“

Am Ende eines Vorstellungstages bekommen die Bewerber ein Feedback. Bei denen, die eine gute Figur gemacht haben, sei „tendenziell die Richtung klar“, sagt Pressesprecher Bergmann. Dem einen oder anderen Kandidaten, den BMW fachlich für ungeeignet hält, werde der Rat mit auf den Weg gegeben, bei PUUL eine Fortbildung zu machen.

Die Abkürzung PUUL steht für „Personelle Unterstützung für Unternehmen Leipzig“. Diese ist aus einer „Personalentwicklungsgesellschaft“ hervorgegangen, die in die Bewerbung Leipzigs um den BMW-Standort mit eingebracht wurde. Die dem Arbeitsamt angegliederte GmbH sitzt im selben Bürohaus wie BMW. PUUL liefert dem Autohersteller Informationen über den regionalen Arbeitsmarkt, klärt über typische DDR-Berufe auf – und kümmert sich um den Leipziger Mittelstand. Denn für den ist die Ansiedlung nicht nur erfreulich. Weil BMW ein attraktiver Arbeitgeber mit hohen Potenzialen an Gehalt und Sicherheit ist, werden Arbeitskräfte bei mittelständischen Unternehmen abwandern. Um diese Löcher zu stopfen, sollen Arbeitslose durch Fortbildungen qualifiziert werden. Wie viele dadurch eine Anstellung finden, ist unklar.

Ein typisches Beispiel für die Abwanderung ist Christian Beutmann. Als er sich bei BMW als logistischer Dienstleister bewarb, stand er noch bei einem mittelständischen Unternehmen unter Vertrag. Wenige Tage nach dem Vorstellungsgespräch haben sowohl Zirnstein als auch er Post von BMW bekommen. Mit einer Zusage für eine Einstellung.

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