„Form der Realitätsverweigerung“

Der PDS-Fraktionschef Harald Wolf wirft der Initiative Berliner Bankenskandal vor, mit ihrem Outing der Fondsanleger „Scheinlösungen“ zu propagieren. Gleichwohl sieht auch Wolf Anzeichen für eine Politisierung sozialer Themen in Berlin

Interview ROBIN ALEXANDER

taz: Die Initiative Bankenskandal, die Ich-bin-schuld-Kampagne von Ver.di, die zahlreichen Proteste gegen Kürzungen: Erleben wir zur Zeit eine Politisierung der Stadt?

Harald Wolf: Das ist ein Phänomen mit zwei Aspekten: Einerseits eine Politisierung der Stadt, andererseits eine neue Form der Realitätsverweigerung – diesmal aus dem linken Spektrum. Die Ver.di-Kampagne hat ja die Botschaft: Ich bin nicht schuld, es handelt sich um ein Problem anderer Leute. Und die Initiative Bankenskandal gibt die Parole aus: Alternativen zur Risikoabschirmung sind möglich. Es wird suggeriert, für die abartige Situation, dass Berlin für die Fondsgeschäfte Garantien übernehmen muss, gebe es eine einfache Lösung. Ein moralischer Appell an die Anleger, ihre Fondsanteile zurückzugeben, reicht aber nicht. Das ist eine Scheinlösung. Das Problem Bankgesellschaft ist nicht durch moralischen Druck auf die Fondszeichner zu lösen. Wer so einfache Lösungen verspricht, wird letztlich nur Enttäuschungen produzieren.

Warum soll man nicht die beim Namen nennen, die schuld sind am Bank-Desaster?

Die Initiative konzentriert sich auf die Fondsanleger. Aber das Problem sind nicht die Anleger, sondern die Konstrukteure der Fonds: Diejenigen, die sich die Fonds ausgedacht haben, und diejenigen, die sie als Wirtschaftsprüfer testiert haben. Und diejenigen, die faule Kredite in diese Fonds verschoben haben. Diese Leute muss man zur Rechenschaft ziehen.

Zumindest die vielen Banker, die selbst gezeichnet haben, wussten doch, was sie taten.

Bei denen, die mit Insiderwissen solche Fonds gezeichnet haben, sieht es in der Tat anders aus. Leute wie Landesbank-Vorstand Ulf Wilhelm Decken wussten, dass sich solche Fonds nicht rechnen können. Das gilt auch für die Zeichner von Exklusivfonds. Etwas völlig anderes sind aber die frei an jedem Sparkassenschalter gehandelten Produkte, in die etwa ein ehemaliger Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes seine Abfindung investiert hat. Diesen Leuten kann ich keinen Vorwurf machen.

Grottian und Co. lenken die Diskussion also in die falsche Richtung?

Ja, es ist politisch falsch, sichmoralisch auf die Fondsanleger zu fokussieren. Wir sollten besser das System der Wirtschaftsprüfer in Deutschland zum Gegenstand der Auseinandersetzung machen. Das wäre eine tatsächlich hochpolitische Diskussion. Was beim Enron-Skandal in den USA stattgefunden hat, geschah auch bei der Bankgesellschaft. Da waren alle Großen dabei: Arthur Andersen, BDO, PriceWaterHouse. Das Problem bei diesen großen Wirtschaftsprüfern ist: Wirklich unabhängig sind sie nicht. Sie haben ihre Kunden und Auftraggeber. Und da wird offensichtlich – so war es bei der Bankgesellschaft – schon einmal über das eine oder andere hinweggesehen und ein Testat abgegeben, das wirtschaftlich nicht gerechtfertig ist. Bei einer Reihe von Fällen gibt es begründete Vermutungen, dass wissentlich falsch testiert wurde.

Die Initiative setzt die Anleger unter moralischen Druck, damit diese ihre Anteile zurückgeben, ihre Gewinne auf marktübliches Maß drosseln.

Pardon, es handelt sich doch um Vorgänge im Wirtschaftsleben. Da werden moralische Appelle wenig fruchten. Leute haben Geld angelegt und besitzen rechtsgültige Verträge. Vielleicht gibt es die eine oder andere Rückgabe eines Fonds. Aber selbst das wäre für die Bankgesellschaft nicht sinnvoll, denn dann müsste sie ja die Einlage zurückzahlen. Dies als echte Lösung zu suggerieren, hat in etwa das Niveau populistischer Vorschläge, man könne die Haushaltsnotlage Berlins lösen, indem man einen Staatssekretär einspare.

Die Initiative suggeriert, Rot-Rot habe mit der Risikoübernahme einen Filz aus Politikern, Unternehmern, Journalisten, Anwälten und anderen Bessergestellten geschützt, die auf Bank-Kosten Profit machten.

Ach, hier wird eine Verschwörungstheorie gebastelt. Wir schirmen doch nicht die Verantwortlichen für Filz und Korruption ab. Hinter denen sind Staatsanwaltschaft und Untersuchungsausschuss her. Die bekommen Schadensersatzklagen. Mit der Risikoabschirmung haben wir eine ungeordnete Insolvenz der Bank verhindert. Die hätte sehr viel höhere Kosten verursacht.

Sie persönlich sind von einem der Initiatoren, Birger Scholz, angegriffen worden: „Wolf ist eine tragische Figur, die in den Sumpf von Filz und Korruption hineingezogen wird.“

Scholz ist einer dieser ahnunglosen Verschwörungstheoretiker: Jemand, der sich bei der Auflärung des Bankenskandals nicht hervorgetan hat und sich durch solides Halbwissen auszeichnet. Es ist schon pikant, dass ein SPD-Mitglied das Hauptproblem in der PDS sieht, anstatt in seinem eigenen Verein aufzuräumen.

Viele empören sich, weil gespart wird, aber für die Bank 300 Millionen im Haushalt stehen.

Wenn wir diese 300 Millionen doch bloß über Kürzungen finanzieren könnten. Das tun wir aber nicht: Die gesamte Risikoabschirmung wird über Jahre hinaus kreditfinanziert. Das gehört auch zu dieser Realitätsverweigerung der Linken in dieser Stadt: Alle Probleme dieser Stadt werden mit der Bank in Verbindung gebracht. Wir haben 50 Milliarden Schulden, wir haben 2,5 Milliarden Zinslasten, wir haben bis 2006 3,5 Milliarden Verpflichtungen aus dem sozialen Wohnungsbau – und das alles hat überhaupt nichts mit der Bank zu tun.

Verhält sich die Inititiative Bankenskandal kontraproduktiv?

Die Initiative ist ein Ausdruck von Wut, und das ist legitim und richtig. Bei Teilen der Initiative überwiegt aber eine Haltung, die man auf der Linken immer wieder erlebt: Heftig wird die Anklage formuliert, gerade gegen Leute, die einem eigentlich politisch nahe stehen. Darüber wird die Mühe vernachlässigt, sich mit den Realitäten – der Teufel steckt ja im Detail – auseinander zu setzen. Eine Initiative, die nicht nur darin besteht, sich des eigenen reinen linken Gewissens zu versichern, sondern an Auswegen aus der Krise zu arbeiten, kann ich hingegen nur begrüßen.

Hinweis: HARALD WOLF (46) ist Fraktionsvorsitzender der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus.