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Face/Off

Von der teuflischen Lust, vor der Jugend das Gesicht zu verlieren: Wie die Parteien und ihre Kandidaten sich um eine Generation bemühen, die sich durch nichts mehr erschrecken lässt

Von sechs Millionen Erst- und Jungwählern will ein Drittel der Wahl fernbleiben

von JAN ENGELMANN

Dieser Wahlkampf ist merkwürdig. Der hektische Aktionismus in den Büros der Planer und Strategen passt so gar nicht zum Gleichmut der Umworbenen. Während die Campaigner sich nächtens mit der Angst vor erhöhten Nichtwählerquoten und neuen Wanderungsbewegungen in den Schlaf wälzen, verdaut das Stimmvieh seelenruhig die dürren Halme der bereits abgegrasten Themenfelder. Wechselstimmung? Kanzlerbonus? Oder doch eine Pattsituation? Und wenn schon. Man hat gelernt, sich in der Agonie des letzten Jahres, einer Legislaturperiode, die nur durch gelegentliche Strohfeuer unterbrochen wird, gemütlich einzurichten.

Dieser Wahlkampf ist merkwürdig, weil die Alternative, über die im September abgestimmt wird, eigentlich alle Voraussetzungen für einen konfrontativ geführten Lagerwahlkampf in sich birgt. Eine Koalition aus Alt-68ern, die das Schulterklopfen der Gesamtgesellschaft erbettelt, gegen das Zweckbündnis aus elterlichem Konservatismus und nervigem kleinem Bruder, der, zutiefst gekränkt durch die Rechthabereien der Älteren, zu einem noch schlimmeren Besserwisser wurde. Joschka und Gerd versus Edi und Guido. Die Soziologen hatten sich schon eingestimmt auf diese Gegenüberstellung nicht so sehr der Programme, sondern der politischen Sozialisationsmuster und damit verbundenen Lebensstile. Und was passiert? Die beteiligten Personen versuchen zwar, ihre biografischen Prägungen als Authentizitätspluspunkte zu nutzen, werfen aber ihre Bindungskraft bei der Konfliktaustragung komplett über Bord. Stattdessen tummelt man sich gemeinsam im Jungbrunnen der Generation mit dem wöchentlich wechselnden Namen.

Von den sechs Millionen Erst-und Jungwählern heißt es, wolle mindestens ein Drittel der Wahl fern bleiben. Hier gibt es demnach genügend Potenzial, um noch einige Prozentpunkte zu holen, die sich am Ende als mitentscheidend erweisen könnten. Dabei wird das Generationsthema vor allem von den kleinen Parteien ins Feld geführt. Die PDS bemüht sich, ein paar Krümel vom globalisierungskritischen Kuchen aufzusammeln, doch haftet selbst ihrer bekanntesten Irokesenfrau inzwischen ein systemkonformes Geschmäckle an. Ob der eigens eingesetzte „Bundesjugendwahlkampfleiter“ den rebellischen Appeal der graubärtigen Direktwahlkandidaten erhöhen kann, bleibt abzuwarten.

Die FDP unterstreicht mit ihrem Kampagnenslogan „Eine neue Generation für Deutschland“ den Anspruch, sich als Anwalt der „leistungswilligen“ 24-7-Ich-AGs zu präsentieren. Ihr Wahlprogramm ist vom Leitmotiv der Eigenverantwortung durchzogen und fordert eine „Generationenbilanz“, mit der „auf der Habenseite Leistungen wie Bildung, Infrastruktur und soziale Sicherheit, auf der Sollseite Belastungen wie Staatsverschuldung, Pensionslasten und Generationenverträge ausgewiesen werden“ sollen. Das erinnert ein bisschen an Schröders Garantiekarte von 1998, mit der freigesetzte Hängematten-Bohemiens nun täglich vor den Sozialämtern herumfuchteln.

Die Grünen sind demgegenüber fast übertrieben seriös bei ihrem Versuch, unter dem Leitbegriff der „Generationengerechtigkeit“ eine Verbindung zwischen ökosozialer Nachhaltigkeit und der Lebensperspektive nachwachsender Jahrgänge herzustellen. Ob ihnen dies dereinst gedankt werden wird, ist fraglich. Für viele Junge scheint eher das zu gelten, was Florian Illies – lange bevor er erstmals selbst Entlassungsgespräche führen musste – für sich und seine Altersgenossen in Anspruch nahm: „Wir glauben, dass Gesellschaft funktioniert, ohne dass man etwas tun muss, so als hätte man einen ewigen Dauerauftrag aufgegeben.“

Claus Leggewie schrieb in seinem Generationenporträt „Die 89er“, das kurz nach der 94er Wahl erschien, dass es innerhalb dieser Alterskohorte eine bewusste Abwendung von „Politiker-Politik“ gebe. Und er fügte hinzu: „Die ironische Widerständigkeit gegenüber dem vorgegebenen Material und der Semantik von Politik scheint generell eher gewachsen zu sein.“ Nun könnte man zu der Überzeugung kommen, die Parteien hätten daraus die fatale Konsequenz gezogen, nur noch leicht angeranzte Zeichenköder auszuwerfen. So benutzt beispielsweise das Wahlprogramm der Grünen eine Typografie, wie sie vor einigen Jahren auf Technoflyern üblich war. Statt putziger Sonnenblumenornamentik soll jetzt offenkundig eine Ästhetik des kontrollierten Exzesses die Anziehungskraft bei der Jungwählerschaft erhöhen. Womöglich zielt ja Stoibers Einberufung von Katharina Reiche, der Claudia Nolte für die Generation Ally, in eine ähnliche Richtung.

Die Website www.nichtregierungsfaehig.de, eine von mehreren SPD-Domains, welche die jugendlichen User „abzuholen“ versuchen, bietet fade Anti-Stoiber-Kalauer, herunterladbare Bildschirmschoner und allerhand überflüssigen Flash-Schnickschnack. Die Union kann und will da nicht zurückstehen und strebt mit abgespacten Domainnamen wie www.zickensinddafuer.de oder www.krassgut.de ebenfalls die Hegemonie in den Kinderzimmern von Pisa-Deutschland an.

Das Projekt 18 ist sich – allen Urheberrechten an derlei Tendenzen zum Trotz – der Gefahr der Überdrehung durchaus bewusst. Plumpen Stimmenfang will und darf man sich nicht vorwerfen lassen, weil dies dem anvisierten Ziel, als wilder Erneuerer wahrgenommen zu werden, zuwiderlaufen könnte. Dass die FDP nun wirklich gar keinen eigenen Wagen bei der Love Parade ergattern wollte, war der Partei deshalb eine schlagzeilenträchtige Gegendarstellungsforderung gegenüber dem Spiegel wert. So ist dafür gesorgt, dass der Kontakt der „putzmunteren Opposition“ mit einer ehemals widerständig codierten Jugendkultur zumindest virtuell gewahrt bleibt.

Auch die Grünen spürten wohl, dass ihnen eine bloße Anbiederung an den Event-Mainstream niemand nachsehen würde und ließen bei der Love Parade die politrockende Claudia Roth zu Hause. Stattdessen parlierte Renate Künast mit den SFB-Reportern über die artgerechte Haltung von Ravern, während Jürgen Trittin – sein eigenes Image als Spaßbremse ironisierend – die Konsequenzen des Dosenpfands für das Müllaufkommen solcher Massenveranstaltungen ausmalte. Er dürfte wohlwollend zur Kenntnis genommen haben, dass der Techno-DJ Paul van Dyk zu Protokoll gab, er habe Angst davor, „dass Stoiber die Wahl gewinnt“.

Dieses unerhört offene Statement sollte das einzige seiner Art bleiben. Das Schreckgespenst eines satanisch grinsenden @mund-Backlashs haben die Regierungsparteien, die als Besitzstandswahrer arrivierter erscheinen, als ihnen lieb sein kann, den Jungwählern nicht überzeugend einreden können. Im Gegenteil. Die Faszination eines rot-grünen „Projekts“, dessen prekärer Status und drohendes Ende schon im Begriff mitschwingen, scheint gegenwärtig auf wenig Gegenliebe bei jenen Existenzbastlern zu stoßen, die gerade die Folgen einer strukturellen Wirtschaftskrise am eigenen Leib erfahren. Man hat sich eingerichtet im eigenen Losertum, wieso sollte dies Rot-Grün nicht auch gelingen? Dieser Wahlkampf ist merkwürdig, weil er noch rückgekoppelter verläuft, als man dies ohnehin schon gewohnt war. In medialer Hinsicht gibt es keinen inhaltlichen Vorstoß ohne den vorausschauenden Blick auf die möglichen Reflexe. Dabei kommt es mitunter zu seltsamen Synergien, als deren geheimnisvolles Kraftzentrum die Harald-Schmidt-Show auszumachen ist. Nicht nur nutzt die FDP deren tägliche Publikumsbefragung als demoskopischen Beweis für ihren wachsenden Zuspruch bei Jungwählern, auch Union-Wahlkampfmanager Michael Spreng freute sich sichtlich darüber, dass Schmidts Fake-Politiker Dr. Udo Brömme brav zu Stoibers Tanztee im „90 Grad“ erschienen war. Die Verballhornung von Wahlkampfauftritten stellt ja mindestens sicher, dass über sie berichtet wird. So wurde denn auch Brömmes hübsch paritätisch ausgeführter Streich, eine Pressekonferenz der Grünen Jugend zum Thema Cannabislegalisierung zu sabotieren, von der Partei prompt als gelungenes „Joint-Venture“ gefeiert.

Wenn nach Niklas Luhmann die Funktion der Massenmedien „in der ständigen Erzeugung und Bearbeitung von Irritation besteht“, dann wird diese von den Kampa-Zentralen inzwischen selbst wahrgenommen. Keine Bewegung des Gegners bleibt ungeahndet, jede zunächst defensive Aktion kann in eine neue Angriffsvolte umgepolt werden. Zwei Minuten nach der öffentlichen Verkündung von Sofortmaßnahmen lädt die Gegenseite zur Pressekonferenz. Ein hypernervöses Kartell der Angst übt sich im gegenseitigen Belauern der Beobachterposten und im ständigen Berechnen von Kalkülen, was im Ergebnis zu einer permanenten Observation zweiter Ordnung führt. Guido Westerwelle traf ziemlich genau den Punkt, als er das Gerangel um die Sommer-Ablösung als „Wahlkampfschach“ bezeichnete, wobei er den eigenen Handlungsspielraum als Springer wohlweislich unterschlug.

Nicht von ungefähr erinnerte auch die erste Diskussion zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission an die berühmte Szene aus John Woos „Face/Off“, wo sich die Duellanten derart rasch vervielfältigen, dass ein geschlossenes Tableau von Bedrohungen und deren Kontern, ein Regelkreis von Handlungen auf Handlungen entsteht. Alle richten ihre Pistole auf irgendjemanden, während sie selbst schon in der Schusslinie stehen. „Face/Off“ versucht sich aber nicht nur an einer bildhaften Übersetzung der Systemtheorie, sondern behandelt in sehr plastischer Manier das Thema Identitätsverlust, die Suche nach dem verlorenen Ich und die Maskierung wahrer Absichten. Damit könnte der Film zum idealen Anschauungsmaterial eines Wahlkampfes avancieren, der angesichts der ununterscheidbaren Taktiken zur Selbstbehauptung eigentlich implodieren müsste. Wenn er es nicht schon ist.

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