: Nützliche Sommeraktivitäten
Eine Woche lang informierte das 5. antirassistische Grenzcamp in Jena überdie Situation von Flüchtlingen im abgeschotteten Europa. Nächste Station ist Straßburg
JENA taz ■ Junge Frauen und Männer klappern mit Kochtöpfen. Unsanft werden die Bewohner des Villenviertels von Jena an diesem Donnerstag gegen 6 Uhr 30 aus dem Schlaf gerissen. Vor dem herrschaftlichen Wohnsitz des Jenoptik-Chefs Lothar Späth kommt der bunte Zug zum Stehen. „Hiermit überbringen wir Ihnen die Abschiebeaufforderung“, tönt es über Megafon. „Sie haben eine Viertelstunde Zeit, um ihre Sachen zu packen und dann das nächste Flugzeug nach Stuttgart zu besteigen. Maximal 20 Kilogramm Gepäck sind erlaubt.“ Flugblätter über die Situation von Abschiebehäftlingen werden an schlaftrunkene Passanten verteilt, dann stürmen die ersten behelmten Polizisten zum Schutz der Villa die Straße hoch. „Heute haben die Beamten echt geschlafen“, kommentiert eine Aktivistin des 5. Antirassistischen Grenzcamps. „Die letzten fünf Tage konnten wir kaum einen Schritt ohne Polizeibegleitung machen.“
Eine Woche lang campierten 450 Antirassisten, darunter 80 Asylsuchende, in Jena, um das Verständnis zwischen Flüchtlingen, Migranten und Deutschen zu verbessern. Vor allem die Bevölkerung der Stadt, die sich nach wiederholten Übergriffen auf ausländische Studierende um ihr Image sorgt, sollte über die Lebensbedingungen der Asylsuchenden informiert werden. „Der Skandal ist der rassistische Alltag“, lautete das Motto.
Die Stichworte sind Residenzpflicht und Lebensmittelgutscheine statt Bargeld. Asylsuchende aus Kamerun informierten über die Unmöglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, obwohl seit zwei Jahren alle Asylbewerber, die sich länger als ein Jahr in Deutschland aufhalten, ein Recht darauf haben. „Du findest einen Job, aber in einem anderen Landkreis. Dann bekommst du keine Arbeitserlaubnis, weil du wegen der Residenzpflicht den Landkreis deines Heimes nicht verlassen darfst.“ Tagsüber besuchten die Campbewohner unter anderem ein Flüchtlingsheim mitten im thüringischen Wald, um gegen die soziale Isolation zu protestieren.
Selbstkritisch bilanzierte Camp-Pressesprecher Philipp Stein gestern die Aktionswoche: „Anders als bei den Camps der vergangenen Jahre in Sachsen und Brandenburg sind wir diesmal nicht genug auf die Leute zugegangen.“ Ganz im Gegensatz zur Polizei, die im Vorfeld Unternehmen in Jena vor drohenden „Körperverletzungen und Sachbeschädigungen“ warnte.
Gestern Morgen wurden die Zelte in Jena abgebrochen. Der Autokonvoi der Antirassisten zog weiter Richtung Straßburg zum No-Border-Camp. Hier werden zwischen dem 19. und 28. Juli rund 3.000 Aktivisten aus ganz Europa erwartet. Die Aktivitäten sollen an die internationalen Proteste in Genua im vergangenen Jahr anknüpfen. Wer dann noch antirassistisch weitercampen will, kann sich Anfang August in Cottbus auf einem „Crossover Camp“ mit Gender-Theorien und Rassismus beschäftigen. Oder in Finnland das Grenzregime an der nordöstlichsten EU-Außengrenze unter die Lupe nehmen. Und den Campsommer mit einem „SchillOut“ ab Mitte August in Hamburg unter dem hoffnungsvollen Motto „Land in Sicht“ ausklingen lassen.
HEIKE KLEFFNER
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