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Verhältnisse zum Schmelzen bringen

Zeitarbeit, ästhetisch betrachtet: In der Akademie der Künste untersucht die Ausstellung „Ökonomien der Zeit“, wie Kunst sich mit den Forderungen der Wirtschaft nach mehr Flexibilisierung auseinander setzt. Alles ist eine Frage des gelebten Augenblicks

von HARALD FRICKE

Für die Griechen war Ökonomie die vorbildliche Planung im eigenen Haushalt. Zeit wäre da sicher auch gut verwaltet worden, rechtzeitig hätte man sie kistenweise im Keller gestapelt während der Wintermonate, um sie im Sommer heraufzuholen, wenn die Tage länger sind und man mehr vorhat. Ein solches Spiel mit den Resourcen hat 1983 der US-amerikanische Künstler David Hammons inszeniert: Für seine Performance „Bliz-aard Ball Sale“ stellte er sich auf dem New Yorker Cooper Square mit Schneebällen zum Verkauf auf die Straße. Bei den Passanten war das ein großer Spaß, über den sie mit Hammons gemeinsam lachen konnten; im Kunstbetrieb ist daraus „ein Bild für den inflationären Verfall des Wertes von Waren“ geworden, wie Astrid Wege und Hans-Christian Dany im Vorwort zu der von ihnen kuratierten Ausstellung „Ökonomien der Zeit“ schreiben.

Die Schneebälle findet man im Obergeschoss der Akademie der Künste nicht mehr auf dem Boden, stattdessen hängt dort ein Foto, das Hammons mit seinen enorm temporären Produkten zeigt. Seltsamerweise denkt man dabei auch gar nicht an Verfall und Auflösung, sondern an Intensität, an die Steigerung von Werten durch die Hysterie des Augenblicks: Man muss den Schneeball kaufen, solange er noch weiß ist! Was würde eine Pfütze Kunst schon nutzen?

Tatsächlich sind die Signale, die Begriffe wie „Ökonomie“ und „Zeit“ für den Kunstbetrieb aussenden, in der Ausstellung gar nicht an Vergänglichkeit festgemacht. Eher schon wird eine Auseinandersetzung zwischen alltäglicher Verwertbarkeit und dem neoliberalen Kult um flexibilisierte Subjekte gesucht: Wie hältst du es mit Zeitarbeit? Entsprechend haben Wege und Dany auf die stoischen Kunst-als-Existenz-Beweise eines On Kawara verzichtet und 27 KünstlerInnen, Paare, Gruppen und Kollektive eingeladen, für die zeitbasierte Prozesse eine Suche nach politischer Gegenwärtigkeit sind. Peter Fend untersucht die Territorialkämpfe im Nahen Osten; Leonore Maus Schwarzweiß-Fotoserie „New York, schwarze Stadt“ von 1980 zeigt Rituale, die sich kubanische MigrantInnen ins Exil nach Harlem herübergerettet haben. Katja Eydel wiederum protokolliert mit dem 1998 entstandenen Fotoessay „Assets“ den Umbau Berlins: Die Innenstadt formatiert sich als Festung, der Außenring füllt sich mit öden Gewerbeparks oder katalogverschnittenen Suburbsiedlungen. Hier wird das Zeitdokument zur Allegorie auf die Versprechungen der neuen Mitte.

Bei Edson Barrus aus Brasilien ist das Geschehen dagegen auf raffinierte Weise ins Private verlagert. Seine täglich zu bewältigende Arbeit besteht darin, Rosenkränze aus den Steuerzeichen von Zigarettenschachteln zu flechten. Zehn Jahre Rauchen werden so in der Akademie dokumentiert. Trotzdem blitzt in dieser tristen Handlung ein Konflikt auf: Die Tabaksteuer geht an den Staat, der von der Abhängigkeit profitiert. Der Künstler wiederum rächt sich, indem er in einem Video Marihuana für den Verkauf in Lottoscheine wickelt, weil die Illegalität der Drogen zur Schattenwirtschaft in Brasilien (und anderswo) gehört.

Dass in die Warenzirkulation permanent kulturelles Kapital mit einfließt, zeigt besonders die Arbeit von Christian Philipp Müller. In Glasvitrinen liegen alle möglichen Schokoladen-Sortimente aus, die speziell als Souvenirs verkauft werden. Pralinés in Gaudí-Verpackung erinnern an den Lokalmatador der Gothic-Architektur von Barcelona, die US-Konzeptkünstlerin Barbara Bloom hat Weimar fürs Kulturhauptstadtjahr ein paar Goethe-Schoko-Taler entworfen. Akribisch hat Müller solche kulturell aufgehübschten Konsumartikel gesammelt, denen in der Masse wieder ein beliebiger Produktcharakter anhaftet. Nur in einer Vitrine knirscht es zwischen den Gegenständen: Acht Kilo Kakaobohnen liegen neben ihrem Gegenwert von hundert Euro und einem ordentlichen Batzen Geldscheinen aus Ghana. Da ist die kulturelle Gleichung eben doch Ausdruck ökonomischer Abhängigkeiten.

Die Spannungen zwischen dem Druck der Märkte und Kunst als alternativem Zeitreservoir mögen schwer zu überbrücken sein, als Parcours ist das Ganze aber räumlich sehr großzügig angelegt. Angenehm übersichtlich gehängt lässt sich die 39-teiligen Bilderstrecke von Jean-Luc Moulène verfolgen, der „Streikobjekte“ fotografiert hat. Es sind lauter Dinge, die vor allem in der industriellen Produktion von Arbeitern umgewidmet wurden, um mit der Ware auf ihre Forderungen hinzuweisen: Eine dunkelrote Schachtel Gauloise steht für die kurzfristige Besetzung der Zigarettenfabrik, eine Titelseite des International Herald Tribune ohne Fotos macht den Streik in der dazugehörigen Redaktion sichtbar.

Gegenüber hat der französische Fashion-Künstler Claude Closky zwölf Kalender aufgereiht, die nicht mit Bildern, sondern mit Sprüchen von Promis gestaltet sind. Am 11. September steht dort: „There is no life without excess“, der Satz stammt vom Pariser Modemacher Paco Rabanne. Dann schaut man irritiert auf das Datum – der Kalender wurde für 2000 gedruckt, weit vor den zerbombten Twin Towers. Zugleich werden für diesen kurzen Moment alle „Ökonomien der Zeit“ aufgehoben: Als Schock der Vergegenwärtigung eines singulären Ereignisses.

Wie man mit solchen Erfahrungen im Blick auf Geschichte haushaltet, ist das eine – für die Kunstproduktion fallen da in der Regel jede Menge Monumente ab. Ansonsten gilt auch hier eine alte griechische Erkenntnis: Man kann Geschehenes nicht ungeschehen machen.

Bis 8. 9., Mo. 14–20 Uhr, Di.–So. 11–20 Uhr; Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Katalog: 20 €.

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