: Filmkunst aus dem Bürgerpark
Warten bis der Himmel blau und regenfrei wird: 95 Prozent der Dreharbeiten sind Warterei, hat die fünfjährige Aileen gleich lernen müssen. Sie füllt zehn Sekunden im neuen Kurzfilm des Bremer Filmemacher Radik Golovkov „Eleghia“
Wenn der Kurzspielfilm „Eleghia“ erst fertig ist, mag er ja wie ein Gedicht aus Bildern wirken, vielleicht sogar an ein „Sonett“ erinnern, wie es dem Bremer Regisseur Radik Golovkov vorschwebt – aber die Dreharbeiten zu einem Film sind, wie immer, noch sehr prosaisch.
Am Sonntagnachmittag etwa hatte das Filmteam sein Lager im Bürgerpark aufgeschlagen (mit Zelt, Schienen für eine Kamerafahrt und einem guten Dutzend Crewmitgliedern). Am Mittag wurde eine kurze Szene mit einem „professionellen Filmvogel“ gedreht, der mit einem Trainer aus Hannover angereist war, und ruhig auf einem Felsen sitzen musste. Wegfliegen konnte er nicht, weil seine Flügel gebrochen wurden, als er als Küken aus dem Nest fiel.
Das Arbeiten mit Tieren und Kindern soll ja für die meisten Filmregisseure ein Gräuel sein, aber Radik stellte sich gleich beiden Herausforderungen an diesem Tag. Am Nachmittag sollten noch zwei Einstellungen mit einem kleinen Mädchen gedreht werden. Das hatte sich der Regisseur bei einem Casting in einem Bremer Kindergarten ausgesucht, und die fünfjährige Aileen machte ihre Sache auch sehr gut.
Gedreht wurde drei Stunden lang: Aileen musste zuerst in einer langen Totalen mit ihrer Filmmutter über eine Wiese spazieren, später dann an einem Teich spielen und sich nach rechts umdrehen, nachdem sie gerufen wurde. Im Film sind das vielleicht 10 Sekunden.
Dreharbeiten bestehen bekanntlich zu 95 Prozent aus Herumsitzen. So auch hier. Gut zweieinhalb Stunden musste Aileen auf ihren großen Einsatz warten. Mal störten dunkle Wolken, dann Regen, dann blickten alle auf ein paar blaue Stellen am Himmel, dann kamen aber wieder Regentropfen. Das Team wollte schon aufgeben – dann war es aber doch noch hell und trocken genug für die kurze Szene.
Diese musste allerdings über 30mal gedreht werden, weil die kleine Aileen zwar die ganze Zeit erstaunlich geduldig und überhaupt nicht nervös war, sich aber immer wieder links statt rechts herum drehte. Und das passte überhaupt nicht nicht zu den Visionen des Regisseurs.
Schon bei dessen erstem Kurzspielfilm „Zwanzig Minuten mit einem Engel“ war dessen eigenwilliges Stilempfinden deutlich geworden (der Rezensent schrieb damals von der „irritierenden Schönheit“ der „kargen, fast rohen Schwarzweißbilder“). Auch „Eleghia“ verspricht zumindest ein seltsames Werk zu werden: Ausgehend von einem Monolog des Schriftstellers Daniil Charms erzählt Golovkov hier einzelne Episoden aus dem Leben zweier Menschen („ein Mosaik aus Zeit und Raum“).
Es gibt bei „Eleghia“ keinen durchgängigen Handlungsstrang, stattdessen einen Zeitsprung von 25 Jahren, so dass einige Szenen so aussehen müssen, als würden sie in den 70er Jahren spielen. Beim Bürgerpark ist das nicht weiter schwierig: die kleine Aileen trug einfach ein Kleidchen aus dieser Zeit. An den nächsten Drehtagen geht das Team dann in den Second-Hand-Laden „Happy Shopping“, wo es sich ein passendes Wohnzimmer zusammensuchen kann.
Der Film soll schon im August fertig sein und im Oktober in Bremen seine Premiere haben. Darin wird dann ein kleines Mädchen über eine Wiese laufen und sich nach rechts zu seiner Mutter umdrehen, und wenn alles klappt, wird die Mühe, die sich alle an diesem Sonntag Nachmittag gegeben haben, in ein paar Momente filmischer Poesie verwandelt.
Wilfried Hippen
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