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900 harte Pornos pro Monat

Ein Mord nach dem Vorbild des Horrorfilms „Scream“ hat in Frankreich den Jugendschutz alarmiert. „Zum Schutz der Kinder“ verlangen die Verantwortlichen langfristig ein Verbot von Gewalt- und Sexfilmen – doch ihnen sind die Hände gebunden

aus Paris DOROTHEA HAHN

Toleranz? Heuchelei? Kulturelle Ausnahme? Profitgier? Erklärungsansätze für das Phänomen „X“ und „XXL“ im französischen Fernsehen gibt es viele. Und mindestens eine Gewissheit: Zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens wird auf den französischen Kanälen – vom Pay-TV über das Kabel bis in die Satellitenbuketts – gefickt, gewichst, gequält und gemordet, was das Zeug hält. Jeden Monat flimmern mehr als 900 Porno- und Gewaltfilme über die kleinen Bildschirme. Dem staatlichen Rundfunk- und Fernsehaufsichtsrat (CSA) sind die Hände gebunden.

Vorerst empfiehlt er den Sendern bloß eine strengere Selbstkontrolle. Perspektivisch jedoch verlangt er ein Verbot von Porno- und Gewaltfilmen im Fernsehen. „Nicht aus Prüderie“, wie CSA-Präsident Dominique Baudis erklärt, sondern „zum Schutz der Kinder. Und zur Anpassung an die europäische Richtlinie über das Fernsehen ohne Grenzen.“ Unter den Zuschauern von Porno- und Gewaltfilmen sind immer häufiger Kinder. Eine Studie des Pariser Institutes Mediametries belegt, dass mindestens 11 Prozent der 4- bis 12-Jährigen X-Filme gucken. Ein einfacher technischer Eingriff genügt, um die Programme zu entschlüsseln. Auch wenn die Eltern Geheimnummern gespeichert haben.

Hinzu kommt, dass die Franzosen in den vergangenen Monaten von mehreren spektakulären Gewalttaten von Jugendlichen, darunter Inszenierungen nach Kultfilmen, aufgeschreckt wurden. Ganz besonders Massenvergewaltigungen unter Jugendlichen machen zunehmend Schlagzeilen. Schon die verflossene rot-rosa-grüne Regierung überlegte sich strengere Regeln im Umgang mit den Medien. Als vor wenigen Wochen ein Jugendlicher in Nantes eine Freundin exakt so erstach, wie er es zuvor in dem Film „Scream“ gesehen hatte, verlangten zahlreiche Elternverbände, Sozialarbeiter und Lehrer nach strengeren Kontrollen. Der Präsident der Nationalen Vereinigung der Familienverbände (Unaf), Hubert Brin, verlangte diese auch schriftlich von dem neuen rechten Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Statt eines einfachen Verbotes verlangt die Unaf mehr Wachsamkeit im Hinblick auf die „Medienumgebung für Kinder und Jugendliche“.

Außerhalb Frankreichs sind die Regeln vielerorts strenger. In der EU-Richtlinie über das „Fernsehen ohne Grenzen“ heißt es in Artikel 15, dass keine Programme ausgestrahlt werden dürfen, die „schädlich für Kinder“ sein können. Ganz besonders, wenn sie pornografische Szenen und „unbegründete Gewalt“ enthalten. Die französischen Gesetzgeber haben das nur partiell in nationales Recht übersetzt. Zwar dürfen ihre Kinder keinen schädlichen Programmen ausgesetzt sein, doch von „Pornografie“ und „Gewalttätigkeit“ ist keine Rede. In Frankreich gilt nur eine Auflage: pornografische und aus Selbstzweck gewalttätige Filme dürfen erst nach Mitternacht und nur in verschlüsselter Version ausgestrahlt werden.

Die Folge: In der Fernsehlandschaft tummeln sich Anbieter, die auf Pornografie spezialisiert sind. Bei dem Satellitenanbieter TPS haben 23 Prozent der Abonnenten das Angebot „Passion“ (Leidenschaft) gewählt, das den Zugang zum Kanal XXL öffnet, auf dem jede Nacht zwei Pornofilme laufen. Und bei Canalsatellite haben 17 Prozent der Abonnenten diese Option unterschrieben. Insider des französischen Satellitenfernsehens schätzen, dass mindestens 10 Prozent der Kundschaft ihr TV-Abonnement allein wegen des Pornoangebotes haben. Rund 800.000 Abonnenten, so die Zeitung Le Monde, würden Canal+ (4,5 Millionen Abonnenten), Canalsatellite (1,8 Millionen) und TPS (1,25 Millionen ) „brüsk verlassen“, wenn dieses Angebot wegfiele. Pornofilme verschaffen den TV-Kanälen nicht nur gute Einnahmen bei der Kundschaft, sondern auch Einsparungen bei den Ausstrahlungsrechten. Die Preise für Pornos sind vergleichsweise niedrig. Hinzu kommt, dass sie mehrfach ausgestrahlt werden können, ohne die Zuschauer zu langweilen. Mehrere Kanäle würden bei einem Pornoverbot im Fernsehen umgehend schließen müssen.

Der Ursprung des Phänomens reicht bis in die frühen Achtzigerjahre zurück. Als das französische Pay-TV Canal+ unter dem sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand seine erste Sendelizenz erhielt, wurde darin ausdrücklich auch „ein Porno pro Monat“ genehmigt. Das schaffte den Präzedenzfall, auf den sich die Pornoproduzenten und -verkäufer bis heute berufen.

Auch die französischen Politiker – rechte wie linke – halten sich vorerst zurück. Die rechtsliberale Ex-Präsidentschaftskandidatin Christine Boutin, die in der Vergangenheit lautstark für traditionelle Familienwerte und gegen die Homoehe eingetreten ist, hat bislang als einzige Parlamentarierin auf den CSA-Verbotsvorstoß reagiert. Sie schlägt ein Gesetz vor, dass Pornografie und Gewalt im Fernsehen generell verbietet.

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