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Fluchtsicherndes Sorgerecht

Eltern soll Erziehungsberechtigung für ihr Kind entzogen werden, wenn sie nicht mit den Behörden kooperieren. Das geht aus Senatspapier hervor, das der taz vorliegt

Hamburgs Eltern werden künftig mit bestraft, wenn ihr Kind Straftaten begangen hat. Und wenn sie sich weigern, die Erziehung Schritt für Schritt mit den Behörden abzusprechen, verlieren sie ihr Sorgerecht. Diese Maßnahmen sieht Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) in ihrem nun ausgearbeiteten Konzept zur geschlossenen Unterbringung von delinquenten Kindern und Jugendlichen vor, das der taz hamburg vorliegt.

Demnach sind die Eltern ab dem Moment nicht mehr allein in der Erziehung ihres Kindes entscheidungsbefugt, in dem dieses von der Polizei bei einer Straftat ertappt wird. Sieht die Polizei „besonderen erzieherischen Bedarf“, meldet sie das Kind dem neu zu gründenden „Familien-Interventions-Team (FIT)“. Das kommt zum Hausbesuch.

Hier nun wird differenziert: War es nur eine leichte Straftat wie etwa ein Diebstahl, und haben die Eltern nach Auffassung von FIT „bereits ausreichend reagiert“, gilt der Fall als abgeschlossen. Anderenfalls wird ein Hilfeplan entwickelt, „gemeinsam mit den Eltern und dem Kind“, wie es in dem Papier heißt. Lehnen die Eltern eine „aktive Mitarbeit“ ab, wird der Plan dennoch durchgezogen: Das FIT, so die Vorlage, erhält „für die ihm gemeldeten Minderjährigen alle für die folgenden Maßnahmen notwendigen Befugnisse“ – und kann auch Entscheidungen treffen, die dem Willen der Eltern entgegenstehen.

Bei Kindern, die Gewalttaten wie Körperverletzung oder Raub begangen haben, kann das bis zur Einweisung ins geschlossene Erziehungsheim führen. Die rigide Maßnahme, Eltern ihr Sorgerecht zu entziehen, bekommt damit in Hamburg eine ganz neue Stoßrichtung: Bisher wurden Kinder den Eltern weggenommen, wenn es zu ihrem eigenen Schutz erforderlich war.

Schnieber-Jastram hatte bereits im Juni Grundzüge ihres Konzeptes zur geschlossenen Unterbringung präsentiert. Aus dem jetzt konkretisierten Papier geht hervor, dass der Aufenthalt in diesen Heimen „in der Regel ein Jahr“ dauern soll: Mehrere Wochen in einer geschlossenen Station, „fluchtsicher“, wie es heißt. Dann bis zu sechs Monaten in einer zweiten Stufe, die einen Ausgang „innerhalb des Heimgeländes“ erlaubt sowie bis zu zweimal die Woche auch außerhalb, und weitere 4-6 Monate dann in einer dritten Stufe, in der das Kind auf seine Entlassung vorbereitet werden soll.

Dem Konzept von Schnieber-Jastram liegt die Idee zugrunde, dass man einen Menschen per Vertrag verändern kann. Wollen sie selber das Sorgerecht behalten, müssen sich die Eltern und der Minderjährige schriftlich verpflichten, „aktiv“ an den von FIT erarbeiteten Maßnahmen mitzuwirken. Kommt das Kind dennoch ins Heim, wird von ihm verlangt, dass es einerseits „Anweisungen befolgt“ und sich andererseits „in die Gruppe einlebt“. Obwohl immer wieder von dem „fluchtsicheren“ Haus und den fluchtsichernden Zäunen die Rede ist, betont das Konzept, dass für die Entwicklung von Kindern „ein familienähnlicher Rahmen“ unerlässlich sei.

ELKE SPANNER

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