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„Der Schlüssel ist die Bildung“

Safter Cinar, der Sprecher des Türkischen Bundes, glaubt, dass man nur mit Veränderungen in Kitas und Schulen die ökonomische Situation der Migranten verbessern kann. Richtige Ansätze konterkariere der Senat aber durch Sparen

taz: Herr Cinar, die Horrornachrichten hören nicht auf. Die neueste: Nach dem am Mittwoch veröffentlichten Armutsbericht leben fast 40 Prozent der Nichtdeutschen in relativer Armut. Wann reicht es der türkischen Community?

Safter Cinar: Es reicht schon lange.

In Protesten artikuliert sich das aber nicht.

Da haben Sie Recht. Vielleicht haben die Leute resigniert oder sich in dieser Situation eingerichtet. Wir als Migrantenorganisation haben uns bislang um diesen sozialen Bereich ja auch nicht gekümmert. Das müssen wir ändern.

Liegt das daran, dass der Türkische Bund selbst vor allem eine Mittelschichtsorganisation ist?

Das glaube ich nicht. In anderen Bereichen wie der Bildung kümmern wir uns auch um Probleme, die keine Probleme der Mittelschicht sind. Diese ganze Armuts- oder Einkommensfrage stand bislang einfach nicht im Mittelpunkt.

Die Armutsursachen gleichen einer Kettenreaktion: Arme Familien haben weniger Bezug zu Bildung, die Kinder können kein Deutsch, scheitern in der Schule, werden arbeitslos und bekommen dann selbst Kinder. Wie kann man das aufbrechen?

Der Schlüssel liegt in der Bildung, hier muss man ansetzen. Es ist ja nicht so, dass die so genannten bildungsfernen Schichten kein Interesse haben. Oft wissen sie einfach nicht, wie sie ihre Kinder unterstützen können. Hier müssen Staat, Gesellschaft, Bildungseinrichtungen einspringen. Sie müssen das leisten, was die Eltern nicht leisten können.

Was genau?

Anfangen muss man bei den Kitas, die müssen sich sehr verändern. Da muss altersgemäße Bildung vermittelt und vor allem muss die Sprachförderung verbessert werden. Dazu muss die Erzieherinnenausbildung verändert werden. Die Schulen müssen darauf dann aufbauen. Und weil die Eltern oft nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu unterstützen, muss auch das in der Schule selbst gemacht werden. Das heißt, wir brauchen mehr Ganztagsschulen. Nur so kann auch die Lage der Migranten auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Schlecht qualifizierte Arbeitskräfte werden nicht gebraucht.

Reicht das, was Bildungssenator Böger hier tut?

Es geht zwar in die richtige Richtung, aber durch die Einsparungen werden diese Ansätze konterkariert. Wenn wir schon die günstige Situation von Schülerrückgang haben, sollte man keine Lehrerstellen streichen, sondern diese Stellen insgesamt für Verbesserungen einsetzen.

Was kann noch gegen die hohe Arbeitslosigkeit unter den Berliner Türken getan werden? Die Quote liegt bei 40 Prozent.

Die Hauptursache ist sicher die schlechte Qualifikation. Es gibt auch Fälle, wo Diskriminierung eine Rolle spielt. Und es gibt einfach nicht genug Arbeit.

Wie wirkt sich die schlechte ökonomische Situation auf das Leben der türkischen Community aus?

Das hat natürlich desintegrative Auswirkungen. Die Leute führen ihre schlechte Situation auf ihre Ethnie zurück und geben der Mehrheitsgesellschaft die Schuld. Und wer sich schlecht behandelt fühlt, hat kein Interesse daran, sich dieser Gesellschaft zu öffnen.

Stärkt das den Zulauf zu extremistischen oder islamistischen Organisationen?

Ich glaube eher, dass offene Diskriminierung und Nichtakzeptanz solche Tendenzen stärkt.

Sie haben gerade gesagt, dass aus dieser Chancenlosigkeit das Gefühl von Nichtakzeptanz entsteht.

Ja, da gibt es sicher einen indirekten Zusammenhang. Es ist ja ganz allgemein so, dass Leute, die unzufrieden sind, eher für radikale Lösungen anfällig sind.

Was tut der TBB dagegen?

Wir können das Kernproblem des Bildungs- und des Arbeitsmarktes natürlich nicht lösen. Aber wir haben verschiedene Projekte, in denen Jugendliche motiviert und trainiert werden und so ihre Chancen verbessert werden. Außerdem mischen wir uns in die politische Debatte ein.

INTERVIEW: SABINE AM ORDE

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