: Nippeslawine aus der Neustadt
In Bremen entsteht derzeit das größte Hochregallager Europas. Die BLG baut den Riesenkasten für Tchibo. Bald werden die Logistiker von hier aus Gartenstühle, Duschvorleger, Krawatten oder Wecker in die Filialen schicken. Eine Reportage von Kai Schöneberg (Text) und Kay Michalak (Fotos)
Früher nur Kaffeeröster, heute „jede Woche eine neue Welt“. Früher Costa-Rica-Kenia-Blend, heute macht Tchibo auch in Fritz, dem Badefrosch, Duschvorlegern, Gartenstühlen oder Weckern. Arno Ziegler von der BLG International Logistics hat sich dort letztens eine Krawatte gekauft. Und ist sehr zufrieden: „So‘n Tchibo lebt ja davon, dass er Qualität verkauft“, meint der Mann, der das Ding baut, wo die ganze Non-Food- und Nippes-Lawine von Tchibo rein soll: Das Hochregallager im Neustädter Hafen, nach Angaben der BLG das größte Europas.
Trotz Bremen – hier ist fast alles superlativ. Zwei Regalkästen mit je 42 Metern Höhe, 144 Metern Länge und 71 Metern Breite sollen es werden – drin ist Platz für ein paar wenige WM-Fussballstadien. Der Kostenpunkt: 60 Millionen Euro. Und weiter mit den anschaulichen Vergleichen: Mit den 6.500 Tonnen Regalstahl könnte man auch 12.800 Mittelklasseautos oder den Eiffelturm noch mal neu bauen. Der Beton der Bodenplatte reicht aus, um die Autobahn zweispurig vom Bremer Kreuz bis Hemelingen zu betonieren. Und mit dem jährlich geplanten Verbrauch an Folien könnte man die Strecke vom Roland zur Freiheitsstatue in New York zweimal zurücklegen. Folien, die braucht der Logistiker, um die CCG 2-Paletten für den Transport zu umwickeln.
„CCG 2 – das ist sowas wie eine DIN-Norm für Paletten, da weiß jeder Einzelhändler, dass die 2,20 mal 1,30 mal 0,90 Meter groß ist“, erklärt Ziegler, dessen Leben aus dem richtigen Stapeln, Ab-, Auf- und Umladen von Paletten besteht. Deshalb bauen die BLGler den Koloss nicht nur, sie werden ihn auch betreiben.
Und das kam so: Um zu expandieren, kalkulierten Ziegler und Kollegen vor ein paar Jahren einfach mal die Lagerkapazität des BLG-Kunden Tchibo neu. Der Logistiker: „Raus kam: Eigentlich braucht der Tchibo viel größere Kapazitäten, eine ganz andere Hausnummer.“ Sprich: Ein Lager für insgesamt 150.000 Paletten. Da diese nebeneinandergelegt gleich 22 WM-Fussballplätze belegen würden, schoss die BLG in die Höhe – zum Hochregallager. Ziegler: „Als Flachregal wäre das hier einen Kilometer lang.“
Im Herbst kommenden Jahres soll alles fertig sein: In Bremerhaven landen dann dicke Pötte mit allem, was Tchibo in seinen Kaffeeshops, „Outlets“ oder „Prozente“-Läden verkaufen will – seien es Textilien aus der Türkei oder Stereoanlagen aus Fernost. In Fishtown wird umgepackt und in den Neustädter Hafen geschippert. Trotz Umladens sei der Neustädter Standort optimal, betont Ziegler. Immerhin liege das Güterverkehrszentrum mit dem Kombibahnhof gleich um die Ecke. Außerdem werde die neue Autobahn, die A281, eine eigene Hochregallager-Ausfahrt erhalten. Das dürfte auch bitter nötig sein. Das Meiste wird nämlich per Laster in den Rest der Republik verschickt werden. Bis zu 4.000 Paletten pro Tag werden den Klotz am Hafen verlassen. Ziegler: „Das sind bis zu 160 Laster“.
Derzeit sieht es noch nicht direkt nach Brummi-, mehr nach Bau-Chaos aus. 100 Österreicher und Ungarn kraxeln in 40 Metern Höhe rum und schrauben die Stahlteile zusammen, durch die später mal die Paletten flitschen sollen. Sieht nach Bloß-Nicht-Hals- und Beinbruch, also verdammt gefährlich, aus: Es gibt keine Netze, die die Arbeiter auffangen könnten, sondern nur ein Seil, an dem sie sich an die Stahlkonstruktion rankarabinern. „Manche unserer Leute sind tatsächlich Alpinisten“, meint der Vorarbeiter, „sie sind wohl irgendwas zwischen Monteuren und Akrobaten“, sagt Ziegler.
Noch sind insgesamt rund 200 Leute auf der Baustelle beschäftigt, zum Betrieb der High Tech-Anlage wird die BLG nur noch 60 Personen benötigen. Sie werden die Lasterlawine empfangen und zum richtigen Tor leiten, die Brummis be- und entladen und mit Gabelstaplern durch die Gänge huschen – und wohl auch viele Sonderwünsche des Kunden Tchibo erfüllen müssen.
Das Logistiker-Leben ist nämlich – anders als mancher denkt – vielfältig. Beim Stichwort „Value added services“ fallen Ziegler jede Menge Schmonzetten ein: Mal eben ein paar tausend Turnschuhe nachträglich mit dem „Grünen Punkt“ auszeichnen, einer Schiffsladung Staubsauger deutschsprachige Bedienungsanleitungen beilegen. Oder ruckizucki 20.000 Elektronik-Frösche (die zum Spielen) Trockenfönen.
Schönstes Beispiel sind aber wohl die 50.000 Kimonos, mit denen die BLGler vor ein paar Monaten beschäftigt waren. Ziegler: „Leider fehlten denen die sicherheitstechnisch vorgeschriebenen Löcher in der Plastikhülle. Die mussten wir blitzschnell übers Wochenende nachmachen.“ Weil man da ja nicht mal „eben eine Maschine für erfinden kann, haben wir selbst Hand angelegt – mit den Lochern aus der Buchhaltung.“
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