piwik no script img

Amerikanische Soldaten sind nicht immun

Deutsches Völkerstrafgesetzbuch könnte auch zu Ermittlungen gegen US-Bürger in Sachen Menschenrechten führen

FREIBURG taz ■ Die USA nehmen das zum 1. Juli in Kraft getretene deutsche Völkerstrafgesetzbuch nicht ernst. Nur so ist zu erklären, dass sie bisher gegen das neue Gesetz nicht protestiert haben. Dabei sieht jenes die weltweite Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch die deutsche Justiz vor und könnte damit auch gegen US-Staatsbürger eingesetzt werden.

Bisher konzentriert sich die US-Regierung ganz auf den in Den Haag neu entstehenden Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). So versuchte sie, US-Soldaten in UN-Missionen der internationalen Kontrolle zu entziehen. Und vorige Woche forderte die US-Regierung Deutschland zum Abschluss eines Abkommens auf, das US-Bürger schützen soll. Die Bundesrepublik soll sich darin verpflichten, amerikanische Staatsbürger auf keinen Fall an den IStGH zu überstellen (taz vom 23. 7. 2002). Schutz vor der deutschen Justiz ist in diesem Abkommen nicht vorgesehen, so versichern die US-Botschaft und das Auswärtige Amt in Berlin übereinstimmend.

Dabei sieht das Völkerstrafgesetzbuch vor, dass künftig deutsche Gerichte schwerste Verbrechen auch dann aburteilen können, wenn diese keinerlei Bezug zu Deutschland haben. Dieses Weltrechtsprinzip gilt für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, also genau für die gleichen Delikte, für die auch der IStGH zuständig ist.

„Vielleicht haben die USA noch gar nicht erfasst, dass dieses Gesetz auch US-Bürger treffen könnte“, meint Kai Ambos, IStGH-Experte am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Denkbar ist etwa, dass nach einem US-Angriff gegen den Irak bei der deutschen Justiz Strafanzeigen gegen Präsident Bush oder die US-Armeeführung gestellt werden. Darin könnte zwar nicht der Angriff als solcher gerügt werden, aber zum Beispiel die Inkaufnahme von unverhältnismäßig vielen zivilen Opfern durch Bomben- oder Raketenangriffe. Nach derzeitigem Stand sind für solche Verfahren die Staatsanwaltschaften bei jedem Landgericht zuständig. Bürger, die gegen vermeintliche Kriegsverbrecher Strafanzeige stellen wollten, könnten sich also aussuchen, in welcher Stadt sie dies tun.

Doch damit wird es bald vorbei sein. Inzwischen wurde nämlich eigens das Grundgesetz und das Gerichtsverfassungsgesetz geändert, damit Generalbundesanwalt Kay Nehm in Karlsruhe auch für Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch zuständig ist. Die Grundgesetzänderung tritt in Kraft, sobald Bundespräsident Rau diese unterzeichnet hat und sie im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde.

Nehm hat dann ein relativ weites Ermessen, ob ein Strafverfahren durchgeführt wird oder von der Verfolgung der Tat „abgesehen wird“. Vermutlich geht die US-Regierung davon aus, dass der Generalbundesanwalt ernsthafte Ermittlungen gegen US-Bürger schon verhindern wird. Immerhin stimmt sich Kay Nehm bei heiklen Verfahren intensiv mit der Bundesregierung ab, die wenig Interesse an diplomatischen Verwicklungen hat.

CHRISTIAN RATH

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen