: „Es geht nicht um Korruption“
Die Parteispitze hat den Fall Özdemir zu schnell für beendet erklärt, kritisiert der Grüne Christian Ströbele. Grünen-Abgeordnete sollen freiwillig ihr Einkünfte veröffentlichen
taz: Sind die Grünen noch eine Antikorruptionspartei?
Christian Ströbele: Ja, das ist und bleibt ein wesentlicher Teil grüner Identität. Wir waren immer für Transparenz in der Parteienfinanzierung. Cem Özdemir hat durch seinen Rückzug dafür gesorgt, dass keine schädlichen Diskussionen entstehen.
Können die Grünen das noch glaubhaft vertreten?
Ja, weil es Fehltritte waren und nicht mehr. Zwischen dem, was Özdemir vorgeworfen wird, und den Korruptionsaffären der Union oder der SPD in NRW liegen Welten. Es geht doch bei uns nicht um Korruption. Niemand behauptet, dass es Gegenleistungen von Özdemir an Hunzinger gegeben hat.
Aber zeigt der Fall Özdemir nur menschliches Versagen? Geht es nicht vielmehr um die Überheblichkeit, die Macht mit sich bringt, um das Gefühl, es sich erlauben zu können?
Alle können solchen Verführungen erliegen. Zum Beispiel die Bonusmeilen-Geschichte: Jeder Abgeordnete bekommt von der Lufthansa regelmäßig eine Mitteilung, wie viele Bonusmeilen sich angesammelt haben. Da ist die Versuchung groß, das privat zu nutzen, wenn man gerade wenig Geld hat. Vielleicht würde es helfen, auf diese Lufthansa-Briefe draufzuschreiben, dass Bonuspunkte von Dienstreisen nicht privat genutzt werden dürfen.
Also kannte Özdemir diese Regelung nicht?
Das weiß ich nicht.
Fritz Kuhn hat die Affäre schnell für beendet erklärt. Hat sich die grüne Spitze korrekt verhalten? Oder zu lasch?
Die haben etwas vorschnell gesagt: Die Affäre ist beendet. Das war ungeschickt. Wenn man sagt: Deckel drauf, dann heißt das ja: Da ist noch was. Das war falsch. Es muss immer alles auf den Tisch.
Und jetzt?
Die Parteispitze und auch die Fraktion waren zu zahm, als es darum ging, die Bekämpfung von Abhängigkeiten und Korruption zu forcieren. Zum Beispiel die neuen Verhaltensrichtlinien, die jetzt auf der Tagesordnung stehen: Entgeltliche Tätigkeiten sollen die Abgeordneten nicht nur dem Bundestagspräsidenten offen legen müssen, sie sollen für jeden einsehbar sein. Das ist eine alte grüne Idee. Mit der Umsetzung hat man leider lange gewartet – bis es endlich in der Koalition durchsetzbar war.
Reicht die Neuregelung aus?
Nein. Das muss noch weiter gehen. Abgeordnete müssen nicht nur öffentlich machen, was sie tun, sondern auch, wie viel Geld sie dafür bekommen – ab einer gewissen Höhe. Ich glaube, die Grünen sollten in dieser Frage vorangehen – gerade jetzt. Und wir sollten das sofort selbst praktizieren.
Und das wird einen Fall Özdemir in Zukunft verhindern?
Nein, so etwas kann man nie ausschließen. Es gibt kein Allheilmittel, keine Gesetze, die hundertprozentig wirken. Das muss man immer wieder neu lernen. Man muss die Wege, Abhängigkeiten zu schaffen, immer wieder neu verbauen.
Manche meinen, dass die Grünen über ihre eigene zu hohe Moral gestürzt sind.
Nein, das ist ganz falsch. Wir sollten nicht die Hybris haben, zu denken, dass Grüne vor den Versuchungen der Macht gefeit wären, dass wir die besseren Menschen wären. Aber der Anspruch, die moralische Forderung, muss da sein. Die Grünen haben ja mit der Rotation, mit der Quotierung und der Trennung von Amt und Mandat richtigerweise versucht, nicht so zu werden wie die anderen Parteien.
Von der Trennung von Amt und Mandat ist in Ihrer Partei aber nicht viel übrig geblieben.
Das stimmt nicht. Es gibt zwar Auflösungserscheinungen, die ich immer bekämpft habe – aber manches steht noch. Die Parteivorstände sind doch, zum Leidwesen von einigen, noch immer streng von der Fraktion getrennt.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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