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Die Beifahrer der Diktatur

„Damals hatten bei Mercedes zahlreiche SS-Leute das Sagen“, berichtet Exmanager Filc

aus Buenos Aires und La Plata GABY WEBER

Der Esszimmertisch wird zum Zeugenstand. Um ihn herum haben sechs Gerichtsdiener Platz genommen, Staatsanwalt Felix Crous und die Richter Jorge Ballesteros und Leopoldo Schiffrin. Man sieht es dem Hausherrn an, er will kein Zeuge sein. Monatelang hat David Filc versucht, sich um die Vernehmung zu drücken. Nein, meint er, der heutige Besuch sei ihm nicht angekündigt worden. Er wolle sich später schriftlich äußern. Unruhig rutscht er im Trainingsanzug auf seinem Sessel herum. Langsam dämmert es ihm, dass er angesichts dieses Aufgebots um eine Aussage nicht herumkommen wird.

Seit einem Jahr stand sein Name auf der Zeugenliste des Juicio por la Verdad in La Plata. Das Wahrheitstribunal wurde vor drei Jahren ins Leben gerufen. Wegen der immer noch gültigen Amnestiegesetze kann es niemanden verurteilen oder bestrafen, es soll aber das Schicksal der während der Militärdiktatur Verschwundenen aufklären. Während der Gewaltherrschaft zwischen 1976 und 1983 ließen die Generäle 30.000 Regimegegner ermorden. Die meisten Leichen tauchten nie auf.

Verstrickt in die Morde waren auch die Konzerne, die damals ihre Fabriken von unbequemen Betriebsräten säuberten. Bei Mercedes Benz Argentina, heute DaimlerChrysler Argentina, „verschwanden“ mindestens 14 Betriebsräte. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg ermittelt unter dem Aktenzeichen 407 Js 41063/98 gegen die argentinische Tochter des Weltunternehmens wegen Beihilfe zum Mord. Konkrete Stellungnahmen zu den Vorwürfen haben Mutterkonzern und auch DaimlerChrysler Argentina nicht veröffentlicht.

Bei Mercedes Benz Argentina war David Filc, der demnächst 80 wird, bis 1982 Einkaufschef. Er hatte dem Wahrheitstribunal ein Attest geschickt. Herzkrank. Verhandlungs- und transportunfähig. Der Amtsarzt hatte es bestätigt. Doch Richter Schiffrin wollte sich nicht mit einer schriftlichen Erklärung zufrieden geben, und so hat das Tribunal eben Filc in seinem Haus in Buenos Aires aufgesucht, das gleich gegenüber dem Botanischen Garten liegt. Schiffrin hatte bereits den Gewerkschaftschef José Rodríguez (siehe Kasten) und die damaligen Manager von Mercedes vorgeladen.

Zum Beispiel Produktionschef Juan Tasselkraut. Auch gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg seit drei Jahren wegen Beihilfe zum Mord. Vor dem Tribunal im Landgericht von La Plata bestritt der 61-Jährige, Adressen von Betriebsaktivisten an Militärs weitergegeben zu haben, erwähnte aber, dass wegen der Betriebsräte damals die Produktivität auf 40 Prozent gefallen sei. Nach ihrer Ermordung habe wieder mit ausgelasteten Kapazitäten produziert werden können. Warum? „Wunder gibt es nicht, Euer Ehren“, sagte Tasselkraut.

Justiziar Pablo Cueva. Der 74-Jährige hatte im Auftrag der Firma eine Liste mit Namen und Privatadressen der – später ermordeten – Betriebsräte an die Politische Polizei übergeben: „Ja, das ist meine Unterschrift“, erklärte er. Ob das Unternehmen die Polizeireviere der Umgebung – berüchtigte Folterzentren – mit Spenden bedacht habe? Ja, dafür habe man jährlich zwei Millionen Dollar aufwenden können. So habe etwa die Firma, erinnerte sich Cueva lachend, der Armeekaserne Campo de Mayo medizinische Geräte zur Behandlung von Frühgeburten gespendet. Der Armeekaserne? Ruhe im Gerichtssaal. Jawoll, der Kaserne. Nicht dem Militärhospital, wo die Ehefrauen der Offiziere ihre Kinder zur Welt bringen? Nein. Der Kaserne. Dort waren während der Diktatur Schwangere gefangen, die Niederkunft wurde künstlich eingeleitet. Danach wurden sie gefoltert und ermordet, die Babys Militärs übergeben. Die von Mercedes gespendeten Geräte könnten dabei hilfreich gewesen sein.

Zwangsweise vorgeführt wurde Ruben Lavallen, Folterer und wegen Raubs eines Kindes von ermordeten Regimegegnern rechtskräftig verurteilt (siehe taz vom 10. 4. 2001). 1978 wurde er Werkschutzchef von Mercedes. „Ein lukrativer Job“, erinnerte sich der 66-Jährige. Von Folter will er als Kommissariatsleiter nichts erfahren haben, in Sachen Kindesraub verweigerte er die Aussage. Gegen ihn haben jetzt Staatsanwalt und Nebenkläger Haftbefehl beantragt.

Die Vernehmung im Hause von David Filc. Schließlich redet er doch. „Ich war der Jude im Vorstand“, erzählt er den Richtern, „DER Jude, bei DER Firma.“ Staatsanwalt Crous nickt. Hatte nicht der Deutsche Adolf Eichmann, bis 1945 verwaltungstechnisch für die „Endlösung“ zuständig, bis zu seiner Entführung durch den Mossad im Mai 1960 bei Mercedes Benz Argentina gearbeitet? Filc bejaht. Seine eigene Familie, die in Warschau verblieben war, ermordeten die Nazis. Filc war zwei Monate vor Eichmanns Entführung in die Firma eingetreten. „Damals hatten bei Mercedes Benz noch zahlreiche SS-Leute das Sagen“, berichtet er.

Die Entführung Eichmanns war in der Firma „ein Tabu“. Ein Tabu war auch das Verschwinden der Betriebsräte in den Jahren 1976/77. Der Autorin dieses Artikels gegenüber hatte Filc gesagt, dass seine Firma die Gunst der Stunde – der Militärdiktatur genutzt und diese Leute als „Subversive“ beschuldigt habe. Damals ein sicheres Todesurteil. Die näheren Umstände der Entführungen will Filc nicht gekannt haben, sein Arbeitsplatz war nicht die Fabrik draußen in González Catán, sondern die Zentrale Buenos Aires. Ob das „Verschwinden“ des Betriebsrats nicht aufgefallen sei?, fragen ihn die Richter des Wahrheitstribunals. Doch, seinen Kollegen natürlich, diese Leute seien ja physisch verschwunden. Warum die Firma zehn Jahre lang den Witwen die Löhne weitergezahlt habe? Dafür sei nicht er, sondern der Personalchef zuständig gewesen. Und der ist tot.

Filc hatte ab Mai 1977 innerhalb des Direktoriums den Verkauf geleitet, sein größter Abnehmer von Lastwagen, Unimogs und Kriegsgerät aller Art war die Armee. Zu seinen Geschäftspartnern pflegte er auch sozialen Kontakt. Der Innenminister der Diktatur, Albano Hargindeguy, lud ihn zur Hochzeit seines Sohnes ein. Der besonders sadistische Oberbefehlshaber des 1. Heerescorps, Carlos Guillermo Suarez Mason, beschrieb ihm beim Mittagessen die Arbeit der ihm unterstehenden Folter- und Mordkommandos.

Als Spenden für Folterzentren standen jährlich zwei Millionen Dollar bereit

Der tägliche Kontakt zur Armee lief über den Vermittler Rodolfo Schneider. Dieser habe dafür viel Geld kassiert. Aber Schneider, inzwischen verstorben, habe auch hohe Ausgaben gehabt; er bezahlte die Schmiergelder an die Militärs und an den Gewerkschaftschef, José Rodríguez. „Wir wussten alle, womit Rodríguez seine Villa in Punta del Este bezahlt hat“, spricht Filc den Richtern ins Mikrofon.

1982 schied Filc aus der Firma aus, seine Frau hatte ihn gedrängt. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten und hielt auch den Widerspruch nicht mehr aus. Während er mit uniformierten Mördern beim cafecito übers Geschäft plauderte, wurden Verwandte seiner Frau als Guerilleros verfolgt; viele flüchteten ins Ausland. Ein Freund wollte zurückkehren, wurde jedoch an der paraguayischen Grenze verhaftet und schluckte eine Zyankalikapsel.

Im Laufe der Vernehmung taut Filc auf. Es scheint ihm gut zu tun, sich alles von der Seele zu reden. Impunidad, Straffreiheit, ist für ihn mehr als eine Parole. Er weiß, wie viele Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg unbehelligt am Rio de la Plata ihr Unwesen trieben. Er war Schatzmeister der Jüdischen Gemeinde, und die Attentäter auf das Gemeindehaus, bei dem 86 Menschen ums Leben kamen, sind bis heute nicht verurteilt. Die Mörder der Mercedes-Betriebsräte verstecken sich hinter Amnestiegesetzen.

Auf der Anrichte im Esszimmer steht ein gerahmtes Foto, sein Sohn Dani. Er ist 1984 nach Tel Aviv gezogen und leitet dort die Organisation „Ärzte für Menschenrechte“. Als Arzt eines Reserveregiments hat er öffentlich dazu aufgerufen, keinen Dienst in den von Israel besetzten Gebieten zu leisten. Das kann mit Gefängnis bestraft werden. Filc senior ist stolz auf Dani. Lächelnd unterschreibt er das Protokoll, der Gerichtsdiener steckt die Kassette in den Briefumschlag und versiegelt ihn.

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