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Frauen ohne Senator

Gesucht: Ein Gysi-Nachfolger, der den PDS-Wählern erklären kann, dass nun gespart werden muss

aus Berlin ROBIN ALEXANDER

„Kenntnisse sind immer hilfreich“, antwortete Harald Wolf, Vorsitzender der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus gestern lächelnd auf die Frage, welche Voraussetzungen ein Nachfolger von Gregor Gysi mitbringen müsse. Wäre wirklich Fachwissen gefragt, müssten in Gleichstellungsstellen und Lehrstühlen für Genderstudies die Telefondrähte glühen. Gysi ist zurückgetreten vom Amt des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Als Rot-Rot im Januar um die Posten pokerte, war das Frauenressort übrig geblieben und dann an Gysi geschoben worden. Ein Mann als Frauensenator? Eine Lachnummer, aber Gysi trauten sie es zu.

Gysi trauten sie eigentlich alles zu in Berlin. Der kleine Mann war zentrale Figur und Aushängeschild zugleich für das erste Bündnis der frontstadtgeprägten SPD mit der SED-Nachfolgepartei. Und mehr: Sein ironischer Charme sollte sogar die Westberliner für die Koalition einnehmen, die immer noch darunter leiden, dass ihre Stadt seit 1989 in Ostdeutschland liegt.

Neben dem Verführertypus Gysi strahlte mit Klaus Wowereit (SPD) als Regierender ein weiterer ungewöhnlicher Politiker die Republik an. Den beiden sollte das Lachen schnell vergehen. Kein halbes Jahr im Amt ist die Koalition, die Gysi nun fluchtartig verließ, in einem desaströsen Zustand – obwohl sie die enormen Strukturprobleme der Stadt bisher nicht einmal anging.

Anlässlich ihrer 100-Tage-Bilanz vermeldeten Wowereit und Gysi als Fortschritt, ihre Regierung werde nun nicht mehr „ideologisch“, sondern in der Sache kritisiert. Die eigentliche Kritik besorgen aber weder die Opposition noch die großen Berliner Zeitungen, die Rot-Rot offen feindlich gegenüberstehen. Der Wowereit-Senat kritisiert sich selbst. „Objektiv verfassungswidrig“ nannte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) den eigenen Sparhaushalt. Die Neuwahlen, die Rot-Rot brachten, machte erst der Berliner Bankenskandal möglich, weil die Pleite des mehrheitlich landeseigenen Bank von den Wählern der CDU angelastet wurde. Für eben jene Bankgesellschaft hat Berlin aber dann unter rot-roter Führung eine Bürgschaft über fast 22 Milliarden Euro beschlossen. Proteste gegen die fortdauernde Bereicherung von Fondszeichnern an der Steuergelder verbrennenden Bank bezeichnete der PDS-Fraktionschef Harald Wolf als „Form der Realitätsverweigerung“.

Die eigentliche Belastungsprobe für Rot-Rot hatten Beobachter eigentlich für die Zeit nach der Bundestagwahl vorhergesagt: Dann wird der Senat nicht länger umhinkommen, heftige Struktureinschnitte in beinahe jedem Politikfeld, vor allem aber im überbesetzten öffentlichen Dienst vorzunehmen. Die Pläne dafür liegen schon in den Schubladen des Finanzsenators. Aber haben die beiden sozial orientierten Parteien die Kraft, den Bürgern die unumgängliche Sparorgie zuzumuten?

Schon jetzt fürchtet sich die PDS. Der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, einer ehemaligen DKP-Aktivistin, wird kaum die Durchsetzungsfähigkeit zugetraut, ihre Klientel – die Ärmsten in der armen Hauptstadt – zu schützen. Noch schlimmer steht es um Kultursenator Thomas Flierl. Der als Notlösung zu Senatorwürden gekommene Baustadtrat, der gern grübelnd und in Schwarz einhergeht, leidet öffentlich daran, dass er die hochtourige Berliner Szene drosseln muss. Eigentlich war Flierl die beste Wette für den ersten Rücktritt. Als Gysi ihm zuvorkam, kommentierte Flierl mit der Ehrlichkeit des Erschreckten: „Ich bin verzweifelt.“

Gysi ist unersetzbar – aber irgendwer muss ja Wirtschaftssenator werden. Der Berliner Parteivorsitzende Stefan Liebich war wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus, aber er ist 29 Jahre alt und gilt eher als politischer Trainee, denn als Führungskraft. Immer wieder wird der Name dessen genannt, der Kenntnisse einfordert: Harald Wolf. Dietmar Bartsch, der PDS-Bundesgeschäftsführer und Oberstratege gab schon gestern zu Protokoll: „Wolf hat das Zeuge dazu.“

Sich in ein Regierungsamt zu drängen, kann man dem 46-Jährigen, der seine politische Karriere in der Westberliner Alternativen Liste begann, kaum nachsagen. Schon 1989 war er einer der wichtigsten Verhandler eines rot-grünen Bündnis in Westberlin. Das wiederholte sich Jahre später: Wolf – längst von den Grünen zur PDS gewechselt – formte die rot-rote Koaliton maßgeblich mit. Wieder ging er nicht in den Senat. Jetzt wird er vielleicht müssen. Ahnung von Wirtschaft und politische Erfahrung hat die PDS als Kriterien für ihre Kandidatensuche ausgegeben. Ein linker Professor? Ein Unternehmer aus dem ostdeutschen Mittelstand? Eher nein: „Es wäre nützlich, käme der Kandidat aus Berlin“, sagte Parteichef Liebich gestern der taz.

Also doch Wolf? „Es ist keine Frage, ob ich Lust habe“, erklärte der noch vor den Sitzungen des Senats und der PDS, die nach Redaktionschluss dieser Ausgabe stattfanden. Für den Koalitionspartner wäre die Lösung Wolf günstig: Viele in der Berliner SPD halten ihn für verlässlicher als die eigenen Spitzenleute, er ist Duzfreund von Wowereit und unbestritten der kompetenteste Haushaltspolitiker Berlins. Genau das aber könnte zum Problem werden: Wolf ist ein Finanzpolitiker und kein Akquisiteur, einer, der Zahlen liest und Ausgaben reguliert, statt Luftschlösser für Investoren zu bauen. So könnte für Harald Wolf am Ende das gleiche gelten wie für Gregor Gysi: Ein guter Mann – aber im Berliner Senat dennoch letztlich eine Fehlbesetzung.

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