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Ausländer als Streitobjekt

taz-Serie „Rot-grüne Bilanzen“: Zuwanderung und Doppelpass – statt mutigen Zukunftsentwürfen bot die Koalition migrationspolitische Zangengeburten

Illegale oder Islam – lang ist die Liste der Themen, zu denen die Grünen nichts mehr zu sagen haben

Erstens: In der Ausländerpolitik haben die Grünen in der zurückliegenden Legislaturperiode etwas bewegt. Zweitens: In den ausländerpolitischen Debatten spielen die Grünen künftig keine herausragende Rolle mehr. Doch der Reihe nach: Mit der Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts (1999), also der Ergänzung des Abstammungs- um das Territorialprinzip, und der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes (2002) wurden gleich zwei „grüne“ Kernthemen realisiert. Die Bedeutung beider Gesetze wird im historischen Rückblick deutlich: „Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ehrlich und nüchtern zu sagen, ist bisher von höchster Stelle versäumt worden. Die einwanderungspolitischen Versäumnisse sind mit Schuld am Unbehagen derer, die sich mit Gastarbeitern nicht anfreunden können.“ Dies schrieb die Welt bereits vor knapp 40 Jahren. Das Zitat belegt, wie schwer sich die Republik damit getan hat, laut zu sagen: Ja, wir sind ein Einwanderungsland.

Ohne die Grünen hätte die SPD wohl kaum die Entschlusskraft für die überfälligen Weichenstellungen aufgebracht. Die Grünen waren Motor dieser Reformen, bei denen sich die Mehrheit der Bevölkerung bis heute nicht klar entscheiden mag: Sind sie nun gut oder schlecht?

Nützen werden den Grünen diese Verdienste bei der kommenden Bundestagswahl allerdings wenig. Wie gering sie selbst bei den vermeintlich natürlich Verbündeten erachtet werden, hat der innenpolitische Sprecher Cem Özdemir kürzlich stellvertretend für seine Partei erfahren. Wegen einiger Unregelmäßigkeiten unter Druck geraten, sprangen ihm die Vertreter der wichtigsten migrationspolitischen Verbände nicht solidarisch zur Seite, sondern rechneten mit dem multikulturellen Aushängeschild der Grünen ab. Hakki Keskin, Vorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland, kritisierte, Cem Özdemir und mit ihm die Grünen hätten die Einwanderer verraten. Bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts hätten sieauf den Rechtsanspruch auf mehr als eine Staatsbürgerschaft verzichtet. Andere wiederum werfen den Grünen vor, sie hätten in Flüchtlingsfragen zu wenig durchgesetzt – das umstrittene Flughafenverfahren existiert weiter; die Illegalen (Sans Papiers) bleiben eine tabuisierte Realität; und minderjährige Flüchtlinge sind auch nach vier Jahren Rot-Grün von Rechten der internationalen Kinderschutzkonvention ausgeschlossen.

Angesichts der gesellschaftlichen Zwänge, unter denen sich grüne Realpolitik in den zurückliegenden Jahren beweisen musste, klingen diese Vorwürfe fundamentalistisch und besserwisserisch. Denn einwanderungspolitisch handlungsfähig ist in Deutschland nur, wer den Diskurs von rechts besetzt. Niemand hat das in der Vergangenheit so erfolgreich demonstriert wie die Union. Jahrzehntelang propagierte sie: Grenzen dicht – Deutschland ist kein Einwanderungsland. Gleichzeitig wanderten während ihrer Regierungsverantwortung pro Jahr weit mehr Menschen ein als unter den sozialdemokratisch geführten Regierungen.

An dieser deutschen Grundkonstante konnte auch Rot-Grün nichts verändern. Deshalb verbietet es sich, von einem Paradigmenwechsel in der Ausländerpolitik zu sprechen, wie das manche Kommentatoren nach Verabschiedung der Einwanderungsgesetzes im ersten Überschwang getan haben. Beide Gesetze, sowohl das neue Staatsbürgerschaftsrecht als auch das Zuwanderungsgesetz, waren eher Zangengeburten als ein mutiger Zukunftsentwurf.

Denn das dialektische Prinzip in der Zuwanderungspolitik der Jahre 1998 bis 2002 lautete: Die Grünen drängen mit viel Menschenrechtsrhetorik auf ein Einwanderungsgesetz und eine Politik der Anerkennung zu Gunsten der Einwanderer. Die SPD stellt klar: Wir wollen alles Mögliche, nur nicht das.

Zur Erinnerung: Im Februar 2000 schlägt Kanzler Gerhard Schröder medienwirksam die so genannte Green-Card-Regelung für die Anwerbung von ein paar tausend Computerexperten vor. Zeitlich befristet sollte die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis sein. Verzagt knüpfte Schröder an Konzepte der 50er- und 60er-Jahre an. Wie die damaligen Verantwortlichen gaukelte der Kanzler der Bevölkerung wider besseres Wissen vor: Keine Angst, die bleiben nur auf Zeit. Noch im April 2000 versprechen Schröder und SPD-Generalsekretär Franz Müntefering deshalb: „In dieser Legislaturperiode wird es mit der SPD kein Einwanderungsgesetz geben.“ Und Innenminister Otto Schily (SPD) mimte den allseits bereiten rechtslastigen Tabubrecher. Sätze wie „Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind erreicht“ und „Türken sollen sich assimilieren“ signalisierten: Wir Sozis haben das im Griff.

Dass es trotz sozialdemokratischer Verzagtheit doch noch zu einem Einwanderungsgesetz kam, lag letztlich doch nicht an der Durchsetzungskraft der Grünen. Die SPD wurde von anderen zum Kurswechsel gezwungen. Erstens: Die verhaltene Reaktion auf die Green-Card-Initiative zeigte, dass Deutschland für Fachkräfte als Zielland längst nicht mehr erste Wahl ist. Zweitens: Nach anfänglichem Zögern („Kinder statt Inder“) forderten selbst wichtige Vertreter der CDU: Die Grenzen müssen nicht nur für Computerspezialisten, sondern auch für Fachkräfte anderer Wirtschaftszweige geöffnet werden. Gleichzeitig kritisierten sie, die Einwanderungspolitik der SPD sei zu restriktiv und halbherzig.

Migrationspolitisch handlungsfähig ist in Deutschland nur, wer den Diskurs von rechts besetzt

Nach zwei Jahren kleinmütiger Debatten um Zuwanderungsbegrenzung hat Deutschland nun ein Einwanderungsgesetz. Historisch haben sich die Grünen mit der Forderung durchgesetzt, Einwanderung für Inländer und Zuwanderer transparent zu gestalten. Gleichzeitig mussten sie vieles schlucken, was ihren Grundüberzeugungen und denen ihrer AnhängerInnen zuwiderläuft: Künftig wird das Nachzugsalter von 16 auf 12 Jahre herabgesetzt; die Gesellschaft unterscheidet stärker zwischen nützlichen und unnützen Ausländern; und auch nach vier Jahren Rot-Grün hat die deutsche Gesellschaft keine Vorstellung davon, wie eine sinnvolle Integrationspolitik aussehen könnte.

Gemessen an ihrem bescheidenen Stimmenanteil von weniger als sieben Prozent waren die Grünen als Regierungspartei durchaus erfolgreich. Als Partei, die einst wichtige gesellschaftliche Diskurse aufgriff und in die Sphäre der Politik transportierte, haben sie allerdings an Bedeutung verloren. Zu lang ist die Liste der Themen, zu denen die Partei nichts oder nur noch Dürftiges zu sagen hat. Probleme der Illegalen (Sans Papiers), Anerkennung des Islam in Deutschland, die Entwicklung von Konzepten interkultureller Bildungsarbeit, die gesellschaftliche Anerkennung von Differenz – all das sind Debatten, bei denen die Grünen keine Rolle mehr spielen und die parteipolitisch nun nicht mehr abgebildet werden. Für eine Partei, die das Regieren liebt, sind das schlicht keine Gewinnerthemen. Für eine Partei, die in der Opposition wieder die Kraft zur inhaltlichen Erneuerung findet, möglicherweise wieder.

EBERHARD SEIDEL

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