: Wie man Grundgesetz und Koran versöhnt
Mathias Rohe plädiert in seinem Buch für eine fortschrittliche Islam-Auslegung und will so Konflikte mit der deutschen Rechtsordnung lösen
„Grundgesetz und Koran schließen sich nicht aus, sondern sind im Gegenteil durchaus miteinander vereinbar.“ Dieses Fazit zieht der Erlanger Rechtsprofessor Mathias Rohe in seinem Buch „Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen“. Rohe selbst ist kein Muslim, sondern evangelischer Christ. Und er ist Jurist; deshalb interessieren ihn vor allem Konflikte zwischen dem deutschen Recht und der Scharia, dem Recht des Islam.
Ist es möglich, dass ein Muslim in Deutschland sich sowohl an weltliche Gesetze wie auch an die religiösen Gebote des Islam halten kann? Rohe zweifelt nicht daran – vor allem deshalb, weil Koranvorschriften der Interpretation bedürfen: „Keine einzige verbindliche Aussage des islamischen Rechts ist ohne solche Auslegung anwendbar“, betont er in dem Buch.
Rigiden Islamisten spricht Rohe dabei das von ihnen beanspruchte Interpretationsmonopol ab. Typisch für das islamische Recht sei vielmehr der Pluralismus. „Meinungsunterschiede in meiner Gemeinde sind eine Gnade“, lautet eine viel zitierte Prophetenüberlieferung. Im Ergebnis glaubt Rohe, dass „die große Mehrzahl schariatreuer Juristen […] eine Neuinterpretation des Islamischen Rechts nach den Bedürfnissen der Zeit befürwortet“.
Er ist damit doppelter Advokat, einerseits für unsere Rechtsordnung (die „Leitkultur“), andererseits für eine fortschrittliche Islamauslegung. Ein Beispiel: Aus grundrechtlicher Sicht hält er die Todesstrafe beim Abfall vom Glauben natürlich für absolut inakzeptabel. Doch sei das islamische Recht – richtig ausgelegt – hier längst nicht so streng wie angenommen. Strafbar sei nämlich nicht der Religionswechsel an sich, sondern eher eine Art Fahnenflucht oder Hochverrat in bedrängter Zeit. Und außerhalb „islamisch beherrschten Territoriums“ komme die Todesstrafe auch in diesem Kontext nicht in Betracht.
Ausführlich geht Rohe auf alle großen „Reizthemen“ – „heiliger Krieg“, Frauenunterdrückung, Körperstrafen – ein. Dabei lastet er die benachteiligte Stellung der Frau weniger dem Koran als vielmehr patriarchalischen Traditionen an. Angesprochen werden auch die echten „Alltagskoflikte“ – vom Gebetsruf des Muezzins bis hin zum gemeinsamen Sportunterricht von Mädchen und Jungen. Das im Herder Verlag erschienene Buch ist damit zugleich ein gutes Nachschlagewerk, mit oft überzeugenden Kompromissvorschlägen.
Verwirrend ist allerdings, dass Rohe islamische Lehrmeinungen in der Regel so heranzieht, wie es ihm argumentativ gerade nutzt. Welches Gewicht die jeweilige Position für die in Deutschland lebenden Muslime hat, wird nicht recht deutlich. Zu häufig beschreibt Rohe, was im Rahmen des Korans möglich wäre, während es bei aktuellen Konflikten doch eher darauf ankäme, was hier lebende Gläubige derzeit für verbindlich halten.
CHRISTIAN RATH
Mathias Rohe: „Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven“. Herder Verlag, Freiburg 2001, 238 Seiten, 9,90 €
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