nebensachen aus jerusalem: Gelbe Seiten für Boykotteure
Koscher ist eben nicht gleich koscher
Avner, mein Nachbar, ist ein Mann mit Prinzipien. Im Supermarkt achtet er auf den Erwerb auschließlich politisch korrekter Waren. Dabei geht es ihm allerdings so wenig um den Boykott von deutschen Produkten, wie seine Eltern ihn bis heute praktizieren, wie etwa von Seifen und Körpercremes aus den Fabriken jüdischer Siedlungen. Avner ist nur an einem interessiert: dem Koschheitssiegel.
Nun könnte man meinen, mein Nachbar sei ein sehr frommer Mann, wenn er so genau prüft, wer die Garantie für die Einhaltung der jüdischen Regeln bei der Produktion übernimmt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Schlimm genug, so meint er, dass ich überhaupt an die Rabbiner zahlen muss, wenn ich Margarine oder Brot einkaufe. Die großen Supermarktketten halten sich nämlich aus Furcht vor dem religiösen Establishment peinlich genau an die Anordnung, keine Produkte in die Regale zu stellen, die nicht über ein Koschheitssiegel, entweder von einem lokalen Rabbiner oder vom „Badaz“, dem staatlichen Rabbinat, verfügen. Selbst ausländische Produkte müssen, wollen sie außerhalb von exklusiven Feinkostläden gehandelt werden, dem Rabbiner vorgeführt werden.
Koscher ist nicht gleich koscher, erklärt Avner. Hier ginge es nicht nur um Schlachtmethoden und die Trennung von Milch und Fleisch. So müssten, den jüdischen Gesetzen streng Folge leistend, zum Beispiel Obstbäume, die gerade anfangen zu tragen, zunächst drei Jahre unberührt bleiben und später jedes siebente Jahr. „Glatt koscher“, wie es die Ultraorthodoxen benötigen, ist nur, was besonders als solches ausgezeichnet wurde.
Dabei können einmal erteilte Koschheitssiegel auch wieder zurückgenommen werden, wenn, wie bei der Werbung für Joghurt, der anhand einer Bilderserie über die Entwicklung vom Affen zum Menschen vermarktet werden sollte, religiöse Gefühle verletzt werden. „Der Druck geht so weit, dass Bäckereien dazu angehalten werden, ihr Mehl nur von Bauern zu erstehen, die die frommen Regeln befolgen“, schimpft Avner.
Noch weigern sich die Kibutzim (Landwirtschaftskooperativen) indes, die Weizenernte eines jeden siebenten Jahres zum Opfer zu bringen. Offenbar ist der Absatz bislang nicht ernstlich bedroht. „Auf manchen Produkten sind zwei und mehr Siegel, das heißt, wir müssen doppelt für die Prüfung bezahlen“, meint Avner. Genau das ist es, worauf er achte. Nur nicht mehr als unbedingt nötig zahlen.
Erleichtert werden soll der weltliche Boykott durch die bevorstehende Veröffentlichung „Gelber Seiten“ – nur für Produkte ohne Koschheitssiegel. Damit werden die Religiösen im Land endlich einmal in ihre Schranken verwiesen, jubelt Avner mit Vorfreude und schenkt noch einmal eine Runde Mineralwasser ein. San Benedetto, steht auf der Flasche: „unter Aufsicht der Rabbiners Reuven dela Roka, Venedig“, und: „mit Genehmigung des Oberrabinats von Israel“ und: „unter Aufsicht von ’Badaz“. „Ja, ja“, nickt Avner, als ich mit dem Finger auf das Schild deute. „Wo es doch einfach am besten schmeckt.“
SUSANNE KNAUL
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