piwik no script img

Die netten Schläger von nebenan

Schon bei der Prozesseröffnung sind V-Leute das Thema: Die Verteidiger von sieben mutmaßlichen Mitgliedern der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) legen nahe, erst der Verfassungsschutz habe den Aufbau der Neonazi-Gruppe möglich gemacht

aus Dresden HEIKE KLEFFNER

Schlips und Kragen statt Bomberjacken und Glatzen: Die sieben Angeklagten im ersten Prozess gegen die Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) präsentierten sich gestern vor dem Landgericht Dresden als die netten Jungs von nebenan. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern im Alter von 20 bis 27 Jahren unter anderem Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches sowie eine Serie von Körperverletzungs- und Landfriedensbruchsdelikten vor. Als Nebenkläger treten drei linke Jugendliche aus Pirna auf, die Opfer von SSS-Angriffen waren.

Doch zur Verlesung der gegen Neonazis ungewöhnlichen Anklage kam es gestern nicht, weil der Verteidigung die Änderung der Gerichtsbesetzung zu spät mitgeteilt worden war. Das soll nun morgen nachgeholt werden, während die Beratung über einen brisanten Eröffnungsantrag der Verteidigung auf unbestimmt verschoben wurde. Rechtsanwalt Carsten Schrank aus Berlin, bekannt als NPD-Vertreter bei Aufmarschverboten, beantragte die Einstellung des Prozesses. Seine Begründung: Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hatte sich vor Prozessbeginn geweigert, dem Gericht mitzuteilen, ob in der SSS V-Männer oder Informanten aktiv waren. Das Amt argumentierte ähnlich wie im NPD-Verbotsverfahren, jegliche Auskünfte würden die Informanten gefährden und deren Arbeit unmöglich machen. Die Verteidigung beharrt hingegen darauf, die Richter müssten wissen, ob Zeugen als V-Männer aktiv gewesen seien, und suggeriert, der Verfassungsschutz habe „zumindest strukturbildend“ zum SSS-Aufbau beigetragen. Auch die Identität eines Zeugen, dem die Staatsanwaltschaft Anonymität gewährte, will der Verteidiger enthüllt sehen.

Die SSS, die 1996 unter anderem von Mitgliedern der verbotenen Wiking-Jugend gegründet wurde und zuletzt mitsamt so genannter Aufbauorganisationen auf über 100 Aktivisten und rund 300 Sympathisanten zählen konnte, wurde im April 2001 vom Innenministerium Sachsen verboten. Während Verteidiger Schrank gestern die Existenz der SSS als Gruppe bestritt, klagen vor dem Oberverwaltungsgericht Bautzen eine Reihe der jetzt Angeklagten gegen das Vereinsverbot – darunter Thomas Sattelberg (28), Exsozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt in Pirna und nach Ansicht der Ermittler Anführer der SSS. Als Sattelberg erklärt, er mache gerade eine Umschulung zum Fahrlehrer, und über seine modische graue Weste streicht, wird im voll besetzten Saal gelacht – in der letzten Reihe sitzt sein politischer Ziehvater, der Königssteiner Fahrlehrer, NPD-Stadtrat und -Bundesvorständler Uwe Leichsenring. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft – wegen Unterstützung der mutmaßlich kriminellen Vereinigung SSS.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen