piwik no script img

Der Fluch der guten Taten

Harald Wolf, seit Montag designierter PDS-Wirtschaftssenator und Gysi-Nachfolger, über das Ende des Staatskapitalismus im Westen der Stadt, die Personalpolitik der PDS – und seine Krawatten

Interview ROBIN ALEXANDER

taz: Herr Wolf, als Gregor Gysi zurücktrat, wussten Sie doch sofort: Jetzt bin ich dran.

Harald Wolf: Als Gysi mir telefonisch seinen Rücktritt mitteilte, sagte er schon: Harald, du musst das machen. Aber da war meine ganze Sorge noch, Gysi von seinem Schritt abzuhalten. Nachdem dies nicht gelang, war mir allerdings klar, dass es für mich enger wird.

Warum hat die Partei dann noch drei Tage Zeit für Beratungen gebraucht?

Vor dem Hintergrund, dass wir jemanden brauchen, der politisches Gewicht in der Koalition hat und die Probleme in der Stadt kennt, tendierte die Findungskommission sehr schnell zu mir. Wir wollten aber noch andere Varianten prüfen und haben die drei Tage zudem genutzt, Gespräche auch mit Vertretern der Wirtschaft zu führen. Ich brauchte auch ganz persönlich Zeit, um für mich Klarheit zu schaffen. Das war wirklich eine gravierende persönliche Entscheidung.

Was tut ein Wirtschaftssenator?

Zuerst einmal leitet er seine Verwaltung. Da gibt es eine Menge zu tun. Zuallererst die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle für Investoren, die so genannte One-Stop-Agency. Weiter hat ein Wirtschaftssenator die Aufgabe, zu kommunzieren – mit der Wirtschaft, aber auch mit den Gewerkschaften. Der Wirtschaftssenator muss über ein Frühwarnsystem verfügen, um Insolvenzen frühzeitig erkennen und eingreifen zu können. Der Senator dieses Ressorts muss sich um die Wirtschaftsstruktur kümmern: Das enorme Berliner Potenzial von Wissenschaft und Forschung muss der Wirtschaft hier zugute kommen – nicht nur in Hamburg und München.

Und was tut ein PDS-Wirtschaftssenator?

Genau das.

Warum ist es dann sinnvoll, dass ein Sozialist das Wirtschaftsressort übernimmt?

Die PDS kann unverbraucht an die Berliner Probleme herangehen. Wir sind nicht Bestandteil der traditionellen Strukturen der Berliner Subventionslandschaft. Ich finde es schon seltsam, wenn aus Unternehmerkreisen anlässlich meiner Nominierung gewarnt wird, Berlin dürfe nicht mehr Staatswirtschaft einführen. Da rennt man bei mir wirklich offene Türen ein. Die Aufgabe der rot-roten Koalition in Berlin ist es, den Abschied von der Staats- und Subventionswirtschaft zu organisieren.

Die Mission der PDS: Honeckers Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik auch in Westberlin beenden?

Da ist etwas dran. Nach dem Ende des Staatssozialismus im Ostteil dieser Stadt steht jetzt der Abschied vom Staatskapitalismus Westberliner Prägung an. Für diesen Strukturwandel müssen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen geschaffen werden.

Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch genießt bei Unternehmern hohes Ansehen, hat aber ein SPD-Parteibuch. Beim ersten Treffen der Findungskommission war er dabei. Sind Sie Strauchs Wirtschaftssenator?

Ich schätze Strauch sehr. Es war meine Idee, ihn in die Wirtschaftsverwaltung zu holen. Diese Entscheidung hat sich als richtig erwiesen. Ich freue mich, bald selbst mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber der Chef ist der Senator.

Ein ehemaliger Trotzkist in der Wirtschaftsverwaltung. Mit der permanenten Revolution ist man dort jedenfalls schon vertraut.

Das ist richtig: Ich werde der vierte Senator in einem guten Jahr sein. Deshalb muss in dieser Verwaltung jetzt Ruhe einkehren. Notwendige Strukturveränderungen machen wir, aber es wird wieder mehr Kontinuität geben.

Beobachter meinen, vielmehr als die Wirtschaft entspricht der PDS die Leitung der Arbeitsverwaltung. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich ihr Kollege Helmut Holter zu einem richtigen ABM-Minister entwickelt, inklusive Skandale und Mauscheleien.

Beim Zuschnitt dieses Ressorts wollten wir gerade kein ABM-Ressort schaffen. Übrigens auch kein Wirtschaftsressort, das nur Standortpolitik betreibt. Ich möchte versuchen, Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftspolitik zu verknüpfen. Der Ruf, die Partei der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu sein, hängt der PDS zu Unrecht an. ABM ist ein wichtiges Instrument, aber die notwendigen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur erreicht man damit nicht.

Holters Ehefrau arbeitete in einem ABM-Unternehmen. Ihre Frau leitet ein Unternehmen, das auf dem zweiten Arbeitsmarkt tätig ist?

Über diese Frage möglicher Interessenskollisionen habe ich lange nachgedacht, als dieses Amt auf mich zukam. Ich werde bei meinem Amtsantritt in der Verwaltung klare Regelungen treffen, dass ich persönlich mit Entscheidungen, die eines der Unternehmen meiner Frau betreffen, nicht befasst werde.

Die PDS regiert seit sieben Monaten. In dieser Zeit haben Sie die Doppelspitze in der Fraktion aufgegeben und den erklärten Verzicht aufs Dienstwagenprivileg rückgängig gemacht. Bald wird Stefan Liebich Partei und Fraktion in Personalunion führen, und die Senatoren behalten ihre Parlamentsmandate. Bricht die PDS ihre selbst gegebenen demokratischen Prinzipien?

Es gibt bei der PDS keine Beschlusslage zur Unvereinbarkeit von Amt und Mandat. Wir werden darüber im Dezember in der Partei diskutieren. Zu allen diesen Fragen: Daraus sollte man keine Prinzipien machen, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Wir haben Lösungen in konkreten Situationen getroffen.

Gysis Fahrer stand heute schon vor ihrer Tür – obwohl sie erst in drei Wochen gewählt werden.

Der Fahrer, den ich als Fraktionsvorsitzender habe, hat mit mir zusammen Urlaub genommen. Ich wollte ihm diesen Urlaub nicht versauen. Der ehemalige Gysi-Fahrer vertritt ihn jetzt.

Die unumgängliche Krawattenfrage: Wie sieht es wirklich im Kleiderschrank von Harald Wolf aus?

Diese Frage scheint Berlin ja brennend zu interessieren. Also habe ich nachgezählt: Ich habe genau sechs Krawatten. Wahrscheinlich brauche ich mehr. Leider habe ich selbst in einer meiner letzten Handlungen als Haushälter das Krawattengeld für Senatoren gestrichen. Da muss ich wohl selbst bezahlen: Das ist der Fluch der guten Tat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen