: Den USA ist jeder Grund recht
Wegen „permanenter Verstöße“ Iraks gegen UN-Resolutionen sehen sich die Mitglieder der damaligen Golfkriegsallianz zum Waffengang berechtigt
aus Genf ANDREAS ZUMACH
Welche Rolle soll und kann die UNO mit Blick auf einen drohenden Krieg gegen Irak noch spielen? Welche Relevanz für den aktuellen Konflikt haben die insgesamt 65 Irak-Resolutionen, die der Sicherheitsrat seit dem irakischen Einmarsch in Kuwait am 2. August 1990 verabschiedet hat? Die Auseinandersetzung über diese Fragen bestimmt die Diskussionen im Sicherheitsrat wie die innenpolitische Wahlkampfauseinandersetzung in Deutschland.
Der Rat debattierte in der Nacht zum Dienstag über die Ende letzter Woche schriftlich übermittelte Einladung des irakischen Außenministers Nadschi Sabri an den Chef der UNO-Waffenkontrollkommission (Unmovik), Hans Blix . Die USA und Großbritannien plädierten für eine sofortige Ablehnung der Einladung. Zuvor hatte US-Botschafter John Negroponte, der Vorsitzende des Rates im Monat August, zu verhindern versucht, dass sich das höchste UNO-Gremium überhaupt mit dem Schreiben aus Bagdad befasst. Mit diesem Versuch scheiterte Negroponte am Widerstand mehrerer Ratsmitglieder, darunter Frankreich, China und Russland. Die russische Regierung hatte die Einladung Bagdads an Blix als „Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt. Unter den Ratsmitgliedern herrsche „nicht gerade viel Übereinstimmung“, erklärte der russische Botschafter Gennadi Gatilow.
Den Kompromiss verkündete nach der Sitzung UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Die Einladung aus Bagdad sei „nicht abgelehnt“. Vor einer Annahme müsse die irakische Regierung jedoch eindeutig und ohne Einschränkung die Resolution 1284 des Sicherheitsrates aus dem Jahre 1999 akzeptieren. Dazu will Annan Außenminister Sabri in einem Schreiben auffordern. In der Resolution 1284 hatte der Rat bestimmt, dass die Mitglieder der Unmovik nach ihrer Einreise in den Irak zunächst binnen 60 Tagen zunächst feststellen, wo noch Inspektionsbedarf besteht. Danach müsse ein gemeinsam mit der irakischen Regierung vereinbartes Arbeitsprogramm der Unmovik dem Rat zur Billigung vorgelegt werden. Bagdad hatte bislang verlangt, dass der Sicherheitsrat zunächst eine Evaluierung der Inspektionen vorlegt, die der Unmovik-Vorläufer Unscom in den Jahren 1991 bis 1998 durchgeführt hatte. In Deutschland forderte Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am Dienstag eine „einheitliche europäische Haltung“ in der Irak-Frage, um die sich die Bundesregierung „bemühen“ müsse. Erforderlich sei ein gemeinsames Vorgehen der Europäer mit der UNO. Sonst, so Genscher, drohe „ein Alleingang der USA“.
Am Vortag hatte der CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble erklärt, wenn der UNO-Sicherheitsrat das Mandat für ein militärisches Vorgehen gegen Irak erteile, müsse sich Deutschland daran beteiligen. Auch Politiker anderer Parteien haben das Vorliegen eines UNO-Mandats für einen Krieg gegen Irak zur Mindestvoraussetzung einer politischen Billigung, finanziellen Unterstützung oder gar militärischen Beteiligung Deutschlands erklärt. Der FDP-Außenpolitiker Jürgen Möllemann hatte bezweifelt, dass es im Sicherheitsrat eine Mehrheit für ein derartiges Mandat gibt.
Die Frage eines UNO-Mandats für eine Operation gegen Irak ist allerdings längst ohne Relevanz für die Regierungen in Washington und London. Sie halten die völkerrechtlichen Voraussetzungen bereits für erfüllt – und dies nicht erst seit dem 11. September. Bereits vor diesem Datum begründeten Washington und London ihre Haltung mit der Resolution 687, mit der der Sicherheitsrat am 3. April 1991 den Waffenstillstand im Golfkrieg besiegelte.
Einen Friedensvertrag zwischen Irak und der damaligen US-geführten Golfkriegsallianz gibt es bis heute nicht. Die Resolution verpflichtet den Irak, unter internationaler Aufsicht durch die Inspektoren der Unscom alle atomaren, chemischen und biologischen Waffen sowie alle ballistischen Raketen mit einer Reichweite von über 150 Kilometern zu vernichten und entsprechend Rüstungsprogramm dauerhaft einzustellen. Mit der Verlängerung der ursprünglich nach dem irakischen Einmarsch in Kuweit Anfang August 1990 verhängten Wirtschaftssanktionen wollte der Sicherheitsrat Irak zur möglichst schnellen Erfüllung dieser Auflagen bewegen.
Nach Interpretation der Regierungen in Washington und London betreibt Bagdad mit seiner Weigerung (seit 1998), UNO-Waffeninspektoren wieder ins Land zu lassen, und wegen angeblich fortgesetzter Rüstungsprogramme für Massenvernichtungswaffen einen permantenten Verstoß gegen die Resolution 687. Daher seien die Mitglieder der damaligen Golfkriegsallianz auch ohne neuerliche Mandatserteilung durch den Sicherheitsrat zur Wiederaufnahme militärischer Maßnahmen gegen Irak berechtigt.
Eine zusätzliche Rechtfertigung konstruierte Washington nach den Anschlägen vom 11. September. Die Bush-Administration bezichtigte Bagdad – bis heute ohne jede Vorlage von Beweisen – der Unterstützung der Täter bzw. ihrer Hintermänner sowie der Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an Terroristen. Daher seien militärische Maßnahmen gegen Irak bereits gedeckt durch die Resolution 1263, mit der der Sicherheitsrat am 12. September 2001 die Anschläge als „bewaffneten Angriff“ klassifizierte und den USA das Recht auf „Selbstverteidung“ nach Artikel 51 der UNO-Charta zubilligte.
Diese Resolution gilt, obwohl sie keine Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen erhält, seither als völkerrechtliche Grundlage für den Krieg gegen die Taliban und al-Quaida in Afghanistan. Die USA behielten sich – auch unter Berufung auf Artikel 51 – „das Recht vor“, mit entsprechenden Mitteln auch „gegen andere Staaten oder Organisationen vorzugehen, die den Terrorismus unterstützen“, heißt es in einem Schreiben Bushs, das Botschafter Negroponte dem Sicherheitsrat am 8. Oktober vorlegte und das dort auf keinen Widerspruch stieß. Seit Anfang dieses Jahres schließlich behaupteten die Regierungen in Washington und London mehrfach ihr „Recht“ auch zu „präventiven“ militärischen Maßnahmen gegen Irak, notfalls sogar unter Einsatz atomarer Waffen.
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