piwik no script img

Sprich deutlich, Joschka!

Im Zentrum künftiger Außenpolitik muss die Eindämmung der USA stehen. Wollen die Grünen an der Regierung bleiben, müssen sie sich dieser Herausforderung stellen

Sind sich die Grünen der welthistorischen Tragweite dieses Politikwechsels bewusst?

Nun tourt er wieder … Nicht so kindisch wie Guido Westerwelle in einem nach seinem Vornamen benannten Mobil, aber doch in einem Autobus, der sein Konterfei in überdimensionaler Größe trägt. Die Bündnisgrünen wollen, dass die Wähler ihnen dafür die Stimme geben, dass der von ihnen gestellte Außenminister so sympathisch, sprich so schlagfertig und stets ein wenig verschmitzt wirkt. Indes sind die Wähler klug und wissen ebenso wie der Außenminister selbst, dass das kein Grund sein kann, seine Partei zu wählen. Entsprechend klafft die Schere zwischen persönlicher Wertschätzung Joschka Fischers und politischer Zustimmung zu den Bündnisgrünen auseinander. Sollte man diese Partei wegen der von ihrem Außenminister betriebenen Außenpolitik noch einmal wählen? Nach den Maßstäben des Ministers gewiss – sie waren von Anfang an anspruchslos genug. Fischer behauptete erstens, all das zu können, was sein Vorgänger Klaus Kinkel auch konnte, und das ist ihm zweifellos gelungen. Er reklamierte zweitens, keine grüne, sondern deutsche Außenpolitik zu betreiben, was entweder trivial ist oder doch zumindest ein entfaltetes Konzept des nationalen Interesses erfordert hätte. Dieses aber bestand allenfalls in einer Rhetorik der Abwehr möglicher deutscher Sonderwege. Drittens blieb als Sahnehäubchen das Versprechen eines besonderen Einsatzes für die Menschenrechte. Die riskante Ankündigung wurde auf das Eleganteste durch die Bestellung eines ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers als „Menschenrechtsbeauftragter“ gelöst, von dem seit seiner Ernennung nie wieder etwas zu hören war. Da „Beauftragte“ indes noch leichter auszutauschen sind als Minister oder Botschafter, ist davon auszugehen, dass Fischer dies Schweigen zupass kam. So ließen sich heikle Themen, wie die fortgesetzten mörderischen Menschenrechtsverletzungen des russischen Staates und seiner Todesschwadronen in Tschetschenien, immer so ansprechen, dass sich in Moskau niemand in seiner Ruhe gestört fühlen musste.

Konservative Autoren haben zu Recht festgestellt, dass die einzige, weil nicht reversible Leistung der rot-grünen Regierung darin bestand, Deutschland zweimal in den Krieg geführt zu haben. Damit hätten sie die Tradition eines praktischen, nicht weltanschaulichen Pazifismus der Bundesrepublik beendet. Unter Berufung auf ein überstrapaziertes Völkerrecht und die Erinnerung an „Auschwitz“ – eine Propaganda, die möglicherweise Moritz Hunzinger konzipiert hat – wurde nicht nur die serbische Soldateska aus dem Kosovo gejagt. Auch die am Krieg nicht beteiligte Bevölkerung Belgrads wurde mit deutscher Hilfe dem Bombenhagel der Nato ausgesetzt.

Nach dem 11. September überboten sich Kanzler und Außenminister in ihrer Willfährigkeit gegenüber den USA. Schließlich beteiligten sie sich an einem zwar halbwegs rechtmäßigen, in der Sache aber sinnlosen Krieg gegen Afghanistan, der in einem nicht enden wollenden Luftterror gegen Zivilisten mündete. „Fischer ermöglichte es“ – so die Frankfurter Allgemeine in aller Nüchternheit – „die Reste der pazifistischen Linken entweder ins Abseits zu drängen oder auf die Seite der Realisten zu zerren.“ In Letzterem „besteht“, so die gleiche Zeitung wohlwollend, „die wichtigste außenpolitische Leistung Fischers …“

Das Versagen der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik beschert freilich auch den Bündnisgrünen eine zweite Chance in der Außenpolitik. Ob Gerhard Schröder mit seiner Stellungnahme gegen einen Krieg mit dem Irak aus Opportunismus oder Überzeugung handelt, ist bei diesem nur auf Außenwirkung zielenden Kanzler unerheblich.

Auffällig ist jedoch der Umstand, dass die SPD als Partei – angefangen von Altvorderen wie Egon Bahr und Helmut Schmidt bis hin zum Parteipräsidium – eingesehen hat, dass eine innen- und außenpolitisch auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zielende Politik im Schatten des US-amerikanischen Imperialismus unmöglich ist. Niemand Geringeres als Altkanzler Helmut Schmidt hat zur US-amerikanischen Politik vermerkt, dass „der nationalistisch-egozentrische Einfluss imperialistisch gesinnter Intellektueller auf die Strategie der USA“ derzeit größer sei als jemals seit 1945. Mit dieser gerade zu beobachtenden Wende der SPD zeichnet sich ein außenpolitischer Paradigmenwechsel atemberaubender Dramatik ab. Zu Recht ist bemerkt worden, dass die imperialen USA im 21. Jahrhundert in gleicher Weise das Schicksal der Weltpolitik bestimmen werden, wie dies die Sowjetunion im 20. Jahrhundert tat. Ein wenig überspitzt könnte man sagen: Zumindest die SPD hat verstanden, dass das Zentrum einer künftigen Außenpolitik nicht nur in der Moderierung von Regionalkonflikten, der Förderung des Außenhandels und der europäischen Integration, sondern vor allem in einer Politik des „Containments“, der Eindämmung bestehen muss. Nein, nicht des Irak – sondern der USA.

Das Versagen in der Arbeitsmarktpolitik beschert den Grünen eine zweite Chance in der Außenpolitik

Joschka Fischer hat sich dieser Herausforderung bisher nicht oder allenfalls in der ihm eigenen Vorsicht gestellt, obwohl er doch – sollte Rot-Grün ein weiteres Mal die Regierung stellen und die SPD bei ihrem außenpolitischen Paradigmenwechsel bleiben – diese Politik würde exekutieren müssen. Im Wahlkampf reicht es nicht aus, mit Floskeln wie der von einer „erheblichen Skepsis“ oder Vorwürfen an die Opposition zu hantieren, sie verhalte sich nicht im Sinne Europas. Gefragt sind vielmehr deutliche Antworten: Geben die Bündnisgrünen – ebenso wie die SPD – der Wählerschaft ihr Versprechen darauf, einen Krieg gegen den Irak weder mitzufinanzieren, noch ihn militärisch – auch indirekt – mitzubetreiben? Auch dann nicht, wenn der Sicherheitsrat ihn billigen sollte? Sind sie also darauf eingestellt, den USA im Kriegsfall Überflugs- und Zwischenlandungsrechte zu versagen? Verpflichten sie sich darauf, in Koalitionsverhandlungen darauf zu dringen, in der Nato ein Ende des Bündnisfalls zu erörtern und einen Rückzug der Spürpanzer aus Kuwait beziehungsweise der Korvetten vom Horn von Afrika zu erwägen? Sind sich die Grünen der weltpolitischen, ja geradezu welthistorischen Tragweite dieses Politikwechsels bewusst? Werden sie – keine vier Jahre nach dem bitteren Parteitag von Bielefeld und keine zwölf Monate nach Schröders Erpressung im Parlament – die Kraft zu einem außenpolitischen Neuanfang finden, der sich nicht an den Sympathiewerten des Ministers und einer möglichen Regierungsbeteiligung, sondern an der Sache bemisst?

Absehbar ist, dass derlei Klärungsprozesse in der Opposition schneller und tiefgreifender vollzogen werden können als an der Regierung. Anders als einst die PDS wollen die Grünen nicht in die Opposition, sondern an die Regierung gewählt werden. Man wird es daher kaum als unbillig bezeichnen können, vom wahlkämpfenden Außenminister eindeutige, jawohl, undiplomatische Auskünfte über jenes Feld zu erwarten, in dem er – anders als in der Familienpolitik – über wirkliche Expertise verfügt.MICHA BRUMLIK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen