Käfigstress und Kindergeburtstag

Hinter Wilhelmsburg lernen Kinder auf dem Kinderbauernhof Kirchdorf-Süd Verantwortung im Umgang mit Tieren wie Schweinen, Frettchen und Ziegen. Das idealistische Projekt kämpft dabei für Unterstützung und gegen Geldsorgen

„Ich bekomme keine Chance, mich zu rehabilitieren“, sagt Kinderbauer Horn

von ANNIKA SEPEUR

Gerd Horn ist im „Käfigstress“. Er muss noch schnell einen der vielen Käfige „Enten-gerecht“ machen. Ein Junge bringt – „für die gefundene Katze“ – Katzenfutter in die Küche. Kinder toben draußen durch die Gegend, füttern Tiere und passen auf, dass das Tor zur Straße immer geschlossen bleibt.

Es ist ein Ferien-Dienstag auf dem Kinderbauernhof in Kirchdorf-Süd. Gerd Horn ist der mit dem roten Anzug und der Betriebsleiter des Hofs, der jedoch viel lieber „Kinderbauer“ genannt wird. Hinter dem Tor zur Straße, liegt Horns „persönliches Lebenswerk“, der einzige Kinderbauernhof Hamburgs. Der Fußweg führt direkt zu den Stallungen der größeren Tiere. Ziegen begrüßen die Besucher, ein Hahn kräht. Über eine kleine Brücke überquert man einen Graben. Ein Tor auf jeder Seite verhindert, dass Schwein ungewollt Meerschweinchen trifft.

Denn auf der anderen Seite ist der Kleintierbereich, das Kinderbauernhaus mit Küche und „Gerds Büro“. Der Kinderbauernhof ist ein Verein und kostet keinen Eintritt. Ganz in der Nähe des Naturschutzgebiets Heuckenlock bietet der Hof seit 15 Jahren Kindern am Rande der Großraum-Siedlungen Wilhemsburgs ein Leben auf dem Lande.

Mittlerweile kommen Kinder aus ganz Hamburg und dabei verstehen sich Horn und seine ehrenamtlichen Mitarbeiter auch als „Stressabfänger“. Mit dem Tierwunsch finge der Stress in Familien meist an, meint Horn. Deshalb kann man sich Pflegschaften auf dem Hof erarbeiten und so „Interesse und Durchhaltevermögen beweisen“, erklärt er. „Meist wollen ja alle gleich ein Pony pflegen, aber wir sind kein Ponyhof, sondern ein Bauernhof“, stellt der Kinderbauer klar. Kühe, Hausenten, Frettchen und viele andere Schenkungen rechtfertigen diese Bezeichnung. Horn sagt: „Der Hof hat sich mittlerweile zu einem zweiten Tierheim Süderstraße entwickelt.“

Durch das Erledigen anfallender Arbeiten auf dem Hof bekommen die Kinder „Fleiß-Chips“. Bei acht Chips darf man ein Kaninchen zwei Wochen lang pflegen. In dieser Zeit müssen die Kinder neben den neuen Aufgaben rund um das Pflegetier weiterhin die anderen hoftypischen Arbeiten erledigen. Wer es schafft, in dieser Zeit zehn Chips zu sammeln, steigt in der Pflegehierarchie auf und darf es mit einer Ziege versuchen.

Mit 14 Chips erreicht man dann vielleicht die lang ersehnte Ponypflegschaft – wenn man sich nebenbei auch mit den anderen Kindern noch gut verstanden hat. Neben der Arbeit darf auch das Kuscheln nicht zu kurz kommen: Um die Tiere nicht zu überfordern, ist die „Kuschelzeit“ auf eineinhalb Stunden pro Tag begrenzt. „Schließlich mögen die Tiere nicht den ganzen Tag herumgetragen werden“, erklärt Horn.

„Reiner Idealismus“ stecke hinter dem Engagement für das Projekt, denn den Beteiligten wird es nicht immer leicht gemacht: Zwar werben Wohnungsbaugesellschaften wie SAGA und GWG gerne mit dem idyllischen Kinderbauernhof, Unterstützung gibt es aber nicht.

Auch vom Bezirksamt Harburg gibt es kein Geld. Horn gibt zu, Fehler gemacht zu haben. Vor der Frage, ob er Energie in Papierkram oder in die Arbeit auf dem Hof stecken sollte, habe er sich eben für den Hof entschieden. „Aber ich bekomme auch keine Chance mich zu rehabilitieren.“ Wichtig wäre es dem arbeitslosen Kinderbauern, die Einrichtung „auf gesicherte Beine zu stellen“. Horn geht es dabei nicht nur um die Kinder: „Es geht auch um die Tiere“, bekräftigt Sigrid Suhr, die seit drei Jahren zusammen mit ihren beiden Töchtern – acht und sechs Jahre alt – fast 330 Tage im Jahr auf dem Hof hilft. Und auch die zwölf und neun Jahre alten Ahrendt-Brüder Jens und Dennis sagen: „Wir kommen richtig gerne.“

Der Bauernhof hält sich zur Zeit mit Kindergeburtstagen über Wasser: Für 10 Euro pro Kind gibt es Kuchen, Saft und einen Nachmittag mit Tieren, inklusive Heubad und Mäusekontakt. Horn will nicht jammern: „Wir leiden keine Not“, und auch für eine Verlängerung des Pachtvertrags nach dem 31. Dezember 2003 werde man kämpfen.

Kinderbauernhof Kirchdorf e.V., Stübenhofer Weg 19, ☎ 750 84 84. Öffnungszeiten: März bis Oktober, Mo bis Fr 10 bis 19 Uhr und November bis Februar 12 bis 18 Uhr. Sa und So 13 bis 18 Uhr.