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Haben die Demokraten Rückgrat?

Vor nicht allzu langer Zeit pflegte die Mafia ihr schmutziges Geld zu waschen, indem sie es in legalen Geschäften anlegte. Nun laufen die Mafiosi, die ihr Kapital damals in einigen der größten US-Banken und Firmen angelegt haben, Gefahr, vor dem Kadi zu landen – weil sie in ordentliches, legales Business investiert haben. Die Grenzen zwischen Legalem und Illegalem sind inzwischen verschwommen. Viele US-Manager haben Betrug und Diebstahl zu ihrem gewohnten Geschäft gemacht – zu Lasten von gewöhnlichen Kleinaktionären, Angestellten und der Öffentlichkeit. Auch der Präsident und sein Vize stehen im Verdacht, als Geschäftsleute gegen Gesetze verstoßen zu haben. Die aktuellen Skandale haben die Republikaner, die sich selbst als Partei des Kapitals verstehen, in quälende Verlegenheit gebracht.

Trotzdem hat sich ein wesentlicher Teil der führenden Demokraten entschieden, lieber brav zu bleiben und keine effektive öffentliche Kontrolle der Wirtschaft zu fordern (ganz zu schweigen von der Idee, dass wir mehr öffentliches Eigentum brauchen). Stattdessen warnen genau diese Demokraten davor, mit der Wirtschaft allzu hart ins Gericht zu gehen. So klagt zum Beispiel Senator Lieberman, der Al Gores Kandidat für den Posten des Vizepräsidenten war, dass einzelne Demokraten es wagen, über Umverteilung nachdenken. Al Gore, noch im politischen Geschäft, hält sich dagegen bedeckt. Gleichzeitig wetteifert ein Teil der Demokraten mit den Republikanern, die businessfreundlichste Partei zu werden. Wie Gore zu dieser törichten Strategie steht, ist offen. Möglicherweise teilt er sie, hält sie aber im Moment – unter dem Eindruck der Betrugsskandale – für unpassend.

Offenkundig versäumen die Demokraten derzeit eine Chance. Denn dass sich Arbeiter mit Niedriglohnjobs, Frauen, die um Gleichberechtigung kämpfen, dass Staatsangestellte und Gewerkschafter, Leute, die sich für ein besseres (und besser ausgestattetes) öffentliches Bildungs- und Gesundheitssystem engagieren, ausgerechnet für Deregulierung, Steuersenkung und weniger Staatsausgaben erwärmen – das ist eher unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Die Stimmung in den USA ist derzeit wirtschaftskritisch und (wohlfahrts-)staatsfreundlich. Und genau dafür existieren Anknüpfungspunkte in der US-Geschichte: vom New Deal[1]der 30er-Jahre bis zu Lyndon B. Johnsons Idee der „great Society“[2]in den 60ern.

Bush hat dies schon vor längerer Zeit begriffen. Mit der Formel vom compassionate conservatism, vom mitfühlenden Konservativismus, hat er bis an die Grenze zur Verlogenheit versucht, auf diesem Gebiet Punkte zu machen. Und war damit – wenn auch nur in bescheidenem Maße – erfolgreich. Seine Stärke verdankt sich hier vor allem dem Umstand, dass die tief in sich gespaltenen Demokraten unfähig sind, sich als standhafte Opposition zu präsentieren. Warum aber fällt es den Demokraten so ungemein schwer, das zu tun, was im Moment ausgesprochen aussichtsreich wäre: ihre sozialdemokratische Seele wiederzuentdecken?

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Die herrschende Ideologie in den USA hat George Bush senior eine Dekade zuvor plakativ entworfen. Sie lautet: In Europa gibt es soziale Klassen – bei uns, in den USA, existiert so etwas nicht. Das gilt bis heute. Zudem sind die US-Medien von Konzernen geprägt, die eine ausgesprochene Abneigung gegen Sozialkritik haben. Die Professoren, die an den Universitäten Sozialwissenschaft lehren, sind meist Technokraten. Gewiss: In Romanen und manchmal sogar im Kino taucht so etwas wie die Kritik sozialer Verhältnisse auf. Aber insgesamt ist dies ein kulturell und medial schockierend unterbelichtetes Gebiet.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Politiker, die sich für den Wohlfahrtsstaat einsetzen, sich angesichts dessen auf ein paar konkrete Forderungen konzentrieren. Vorgemacht hat das Robert Reich. Unter Bill Clinton Arbeitsminister und jetzt Kandidat für den Posten des Gouverneurs in Massachusetts, setzt er auf klar umrissene, begrenzte Themen: mehr Geld für Bildung und für die Krankenversicherung.

Kurzum: Es gibt Millionen Wähler, deren Renten mit dem Aktien in den Keller sanken, die ihre Jobs verloren und sich durchaus dafür interessieren könnten, wie man sich gegen kapitalistische Räubereien schützen kann. Doch die US-Demokraten sind notorisch unfähig eine neue, zeitgemäße Kritik des Kapitalismus auf die Agenda zu setzen. Wobei sie damit allerdings nicht allein sind. Man denke an Blairs „New Labour“, an die intellektuelle Leere in Schröders „Neuer Mitte“ oder Jospins Beteuerung, dass er nicht als Sozialist um die Präsidentschaft in Frankreich kämpfte.

Trotzdem haben wir es bei den US-Demokraten mit einer unübersichtlichen Lage zu tun. Mit einer Collage aus Themen, einem Stimmengewirr, fast einer Kakophonie. Die amerikanischen Demokraten sind keine Mitgliederpartei mit einem starken Apparat, sondern eine lose Verbindung von Gruppen, Interessen und Lobbys. Daher kann niemand repräsentativ für die ganze Partei sprechen. Daher ist auch unklar, wer 2004 kandidieren wird. Sowohl Tom Daschle, Führer der Demokraten im Senat, als auch Richard Gephardt, Führer der Partei im Repräsentantenhaus, spielen mit dem Gedanken, gegen Bush anzutreten. Sie aber sind Unternehmer in eigener Sache. Denn die Präsidentschaftskandidaten müssen das Geld für ihre Kandidatur selbst auftreiben.

Bislang hoffen die Demokraten, bei den Wahlen für den hundertköpfigen Senat ihre hauchdünne Mehrheit von einer Stimme ausbauen zu können – und bei der Wahl für das 435 Abgeordnete starke Repräsentantenhaus jene sechs Sitze zu gewinnen, die ihnen auch dort die Mehrheit bescheren würde. Was auch ihre Chancen bei den Präsidentsschaftswahlen 2004 verbessern würde. Im Senat, wo 34 Sitze zur Wahl stehen, gibt es nur bei sechs oder sieben Sitzen die Aussicht auf einen Wechsel – im Repräsentantenhaus dagegen ungefähr bei 40. Viel wird dabei von der Wahlbeteiligung abhängen. Denn bei den letzten Präsidentschaftswahlen gingen nur knapp über 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. Daher legen die jüngsten Meinungsumfragen nahe, dass die Demokraten zwar gute Aussichten haben, die Sitze zu gewinnen – aber eben nur, wenn sie ihre Wählerpotenzial mobilisieren können.

Bushs momentane Stärke verdankt sich dazu dem recht unreflektierten Patriotismus, der seit dem Schock des 11. September herrscht. Dieser Schock ist nicht verschwunden – trotzdem stehen auch andere Themen wieder auf der Tagesordnung. Die Demokraten haben es bisher indes sorgsam vermieden, Kritik an Bushs Kriegsführung zu üben. Trotz des Chaos in Afghanistan und der Erklärung des Weißen Hauses, dass die terroristische Gefahr so drängend und akut sei wie noch nie. Der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen, der demokratische Senator Joseph Biden, hatte zwar eine Anhörung[3]über einen möglichen Irakkrieg initiiert. Die aber war so aufregend wie ein akademisches Seminar – und Biden litt augenscheinlich darunter, dass die zentralen Fragen gar nicht verhandelt wurden: Ob nämlich Bushs Absicht, das Regime in Bagdad zu stürzen, legitim und mit internationalem Recht vereinbar sei und wie es mit den Beweisen für die immer wieder unterstellte Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak stehe. Auch die systematischen Eingriffe und Verletzungen von Bürgerrechten, die die Republikaner im Namen des Heimatschutzes beschlossen haben, ist bei den Demokraten auf keinen nennenswerten, aktiven Widerstand gestoßen.

Gleichzeitig ist ein wesentliches und häufig übersehenes Problem der demokratischen Partei ihre fast vollständige Fesselung an die Israel-Lobby in den USA. Heute existiert eine proisraelische Allianz von Juden, Protestanten und christlichen Fundamentalisten – eine Kombination die vor zwei, drei Generationen noch unvorstellbar war. Damals war die jüdische Wählerschaft entschieden liberal, säkular und für wohlfahrtsstaatliche Reformen wie den New Deal.

Heute aber sind manche jüdische Wähler, die zur traditionellen Klientel der Demokraten zählen, bereits auf dem Weg ins republikanische Lager. Deshalb katalysiert Bushs Kapitulation vor Scharon die Angst der Demokraten, ihre große jüdische Wahlklientel in New York und Los Angeles zu verlieren.

Gerade die Israel-Lobby nutzt den Krieg gegen den Terror, um die Scharon-Regierung zu verteidigen. Und seit diese sich kaum etwas mehr wünscht als eine militärische US-Intervention gegen den Irak, hat auch der Druck auf die Demokraten zugenommen, keinesfalls gegen Bushs Pläne zu opponieren. Dazu kommt, dass die Israel-Lobby innerhalb der Demokraten erst jüngst interveniert hat, um einen schwarzen Kongressabgeordneten aus dem Feld zu schlagen, der es an Enthusiasmus für Israel hatte fehlen lassen. Was wiederum die jüdische und die schwarze Wählerschaft der Demokraten tief gespalten hat. Die Demokraten sind somit in zwei Richtungen blockiert: Solange sie an ihrer uneingeschränkten Solidarität mit Israel festhalten, sind sie nicht in der Lage, eine alternative Außenpolitik zu formulieren. Und solange ihre jüdische und schwarze Wählerschaft über Kreuz sind, können sie auch ihr innenpolitisches Reformpotenzial nicht ausschöpfen.

Gleichermaßen trübe sieht auch das Verhältnis der Partei zu den Gewerkschaften aus. Erst kürzlich haben der Senat und das Repräsentantenhaus dem Präsidenten höchst umfangreiche Befugnisse zugestanden; fast nach Gutdünken kann Bush nun über internationale Wirtschafts- und Handelsabkommen bestimmen. Viele Demokraten stimmten dabei mit den Republikanern – und explizit gegen den Willen der US-Gewerkschaften. Bush verfügt nun über eine Macht, die die Demokraten Bill Clinton noch verweigert hatten. Gewiss, die Demokraten haben dem Weißen Haus dafür ein paar Zugeständnisse abgetrotzt: So sind künftig Arbeiter, die ihren Job verlieren, weil die Produktion ins Ausland verlagert wird, finanziell besser gestellt. Doch das ändert nichts daran, dass diese Abstimmung ein deutlicher Sieg des gewerkschaftsfernen Flügels der Partei war.

Kein Wunder also, dass viele Gewerkschafter sich bitter enttäuscht von den Demokraten abwenden – und das, obwohl gewerkschaftsfreundliche Wähler ein gutes Viertel der demokratischen Wählerschaft ausmachen. Doch deren Interessen scheinen im Kalkül der Partei kaum vorzukommen. Stattdessen achtet man ängstlich darauf, den Businessinteressen keinesfalls ins Gehege zu kommen – geschweige denn das Geld zurückzuweisen, das die Partei so dringend braucht. Das geflügelte Wort „Wir haben den besten Kongress, den man für Geld kaufen kann“ beschreibt noch immer die Situation unserer Legislative.

All das macht eine fundierte Voraussage, wie die Kongresswahlen am 5. November ausgehen werden, unmöglich. Bushs Amtsbonus wird den Republikanern keineswegs zwingend helfen. Im Gegenteil: Die Partei des Präsidenten hat Wahlen in der Mitte der präsidialen Amtszeit bisher meistens verloren. Die Demokraten können siegen – falls sie es schaffen, ein paar wesentliche Themen in den Vordergrund zu rücken. Doch zum Krieg gegen den Irak hört man wenig. Und wenn es um das Kioto-Abkommen zum Klimaschutz geht oder um die Blockade des Internationalen Strafgerichtshof ist das Schweigen der Demokraten fast schon dröhnend. Auch zu der seltsamen Kombination von Paranoia („Warum hassen sie uns?“) und Omnipotenzphantasien („Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“), die unsere Außenpolitik prägt, ist kaum ein kritisches Wort zu vernehmen. Selbst in der Frage, ob die Regierung stärker in die Wirtschaft eingreifen sollte oder ob etwa eine progressive Besteuerung wieder eingeführt werden sollte, sind die Demokraten gespalten.

Gleichzeitig scheinen in Deutschland manche Medien und Politiker derzeit geneigt, sich der Illusion hinzugeben, dass das Klima in den USA sich mit Verve gegen Georg W. Bush wenden wird. Das ist, sowohl innen- wie auch außenpolitisch gesehen, eine äußerste Übertreibung. Nichts ist entschieden, alles ist offen. Falls die Europäer der Ansicht sind, dass die US-Politik gefährlich ist, dann sollten sie auf den Luxus des Wunschdenkens verzichten. Und sich lieber an ein altes amerikanisch-protestantisches Sprichwort halten: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.

Aus dem Amerikanischen von Stefan Reinecke

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