: PDS-Sonne sinkt im Osten
Umfrage: Nach dem Rücktritt von Gysi verliert die PDS ein Drittel ihrer Wählerstimmen in Berlin. Im Ostteil der Stadt ist die Partei nur noch zweite Kraft. Der Einzug in den Bundestag ist nun gefährdet
von RICHARD ROTHER
Auf dem Plakat zu sehen ist ein durchaus sympathisches Hetero-Pärchen, das sich eng umschlungen küsst. Unter den beiden Teenagern der Slogan: „Der Osten zuerst!“ Für welches Ostmarkenprodukt aber werben die Poster, die an östlichen Ausfallstraßen zu bewundern sind: für Cabinet, Nordhäuser Doppelkorn, Honeckers ersten Ehe-Kredit oder national befreite Zonen? Weder noch – die PDS, die vor Jahresfrist die Fünfprozenthürde in Westberlin schaffte, geht zurück zu ihren Wurzeln. Demoskopen nennen das Mobilisierung der Stammwählerschaft.
Diese Mobilisierung scheint die PDS nach dem Rücktritt von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) bitter nötig zu haben: Nur noch 8 Prozent aller Berliner Wähler würden bei der Bundestagswahl PDS ankreuzen. Vor einem Monat waren es noch 13 Prozent. Damit brächen rund ein Drittel der PDS-Stimmen in Berlin weg, wie eine Forsa-Umfrage ergeben hat. Demnach ist der Einbruch im Ostteil der Stadt besonders dramatisch: statt 37 Prozent wie im Juli würden jetzt nur noch 27 Prozent die PDS bei einer Abgeordnetenhauswahl wählen, die PDS verlöre hier ihre Position als stärkste Partei. Berlinweit käme die PDS bei einer Wahl zum Landesparlament auf 13 Prozent, im Juli waren es noch 18 Prozent.
Die Meinungsforscher sehen einen Zusammenhang zwischen Gysis Rücktritt und dem Absturz der PDS. 70 Prozent der Berliner glauben, dass der Rücktritt die PDS-Chancen sinken lasse. Mehr als die Hälfte hält Gysis Rücktritt für falsch, und mehr als drei Viertel glauben, dass der private Gebrauch der Bundestagsbonusmeilen der Lufthansa nicht der Grund für Gysis Rücktritt war.
Dennoch bleibt der ehemalige Wirtschaftssenator bei den Berlinern der beliebteste Landespolitiker nach dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Trotz des Rücktritts ist Gysis Wert auf der so genannten Sympathieskala der Meinungsforscher nicht gesunken: Er liegt wie im Juli bei 0,9 Punkten. Zum Vergleich: Wowereit erreicht 1,1 Punkte, Gysis designierter Nachfolger Harald Wolf 0,3 und der CDU-Fraktionschef Frank Steffel minus 1,5 Punkte.
Die Konsequenz des Sturzes: Die PDS könnte bei der Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde scheitern. Zudem ist unsicher, ob die Partei es schafft, drei Direktmandate zu erringen und so die Fünfprozenthürde zu umgehen. Derzeit gelten in Berlin nur zwei der neu zugeschnittenen Wahlkreise für die PDS als sicher: Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. Hier treten die Vizechefin der Bundes-PDS, Petra Pau, und die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötsch an.
Chancen rechnet sich die Berliner PDS noch in Treptow-Köpenick, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost aus. In diesen Wahlkreisen liegt aber die SPD vorn; alle anderen Berliner Wahlkreise dürften ohnehin an die SPD fallen. Offenbar hat die PDS, die monatelang bundesweit über 5 Prozent lag, ihre Chance vernachlässigt, über Direktmandate in den Bundestag zu ziehen. In Pankow, wo 1994 noch der Schriftsteller Stefan Heym antrat, schickt die Partei jetzt die 27-jährige, fast unbekannte Sandra Brunner ins Rennen – gegen Bundetagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Günter Nooke (CDU) und Werner Schulz (Grüne).
In Friedrichshain-Kreuzberg kriegt es die PDS-Kandidatin und ehemalige Bezirksbürgermeisterin Bärbel Grygier immerhin mit Christian Ströbele (Grüne) und dem SPD-Landesvize Andreas Matthae (SPD) zu tun. In Treptow-Köpenick versucht die PDS, mit dem kaum bekannten Alt-Gewerkschafter und ehemaligen SEW-Funktionär Ernst Welters in den Bundestag zu kommen. Die CDU stellt mit Oliver Scholz einen ehemaligen Bezirksstadtrat auf; gewinnen dürfte jedoch der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Siegfried Scheffler.
Die PDS ergreift ihre letzte politische Chance, will die Angst vor einer Stoiber-Regierung nutzen. Aufgabe der PDS sei es, „einen Kanzler Stoiber zu verhindern“, so der PDS-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus und Gysi-Nachfolger Harald Wolf in einem Zeitungsinterview. Sollte es nicht für Rot-Grün reichen, könne Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit den Stimmen der PDS gewählt werden. Das allerdings lehnt der PDS-Fraktionschef im Bundestag, Roland Claus, ab: „Es macht keinen Sinn, einen Kanzler mitzuwählen, wenn man nicht regierungsbeteiligt ist.“ Im Moment stehe das aber nicht an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen